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Evies Garten (German Edition)

Evies Garten (German Edition)

Titel: Evies Garten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.L. Going
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behalten.«
    Evie nahm die Karte und betrachtete das Bild des Jungen. Er sah aus wie der Junge, dem sie begegnet war.
    »Alex«, flüsterte sie.
    Sie hätte gern noch mehr Fragen gestellt, zum Beispiel, wo er gewohnt hatte und wie seine Familie war, doch Vater nickte ihr zu und warf einen Blick nach draußen auf den Lastwagen, um anzudeuten, dass sie jetzt gehen sollten. »Wie tragisch«, sagte er, doch seine Stimme klang so geistesabwesend, als würde er gar nicht an den Jungen denken. »Wir müssen jetzt aufbrechen.«
    Maggie nickte. »Ich kann mitkommen und Ihnen den Weg zeigen«, bot sie an und band die Schürze ab.
    Vater schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig. Ich weiß, wo es ist.«
    »Sind Sie sicher?«, fragte Maggie. »Ich könnte Ihnen ein wenig beim Aufräumen helfen.« Zögernd hielt sie ihm den Schlüssel hin. Vater nahm ihn und stopfte ihn in seine Jackentasche.
    »Wir schaffen das schon alleine.« Vaters Ton duldete keine Widerrede. »Wir brauchen keine Hilfe.«
    Evie schaute durch das Fenster auf den Lastwagen, der mit lauter Kisten beladen war, die bald ausgepackt werden mussten. Sie entzog dem Vater ihre Hand, und Maggies wache Augen verengten sich.
    »Ich verstehe …«, sagte sie. »Also, falls Sie es sich anders überlegen, wissen Sie ja, wo Sie mich finden. Wenigstens dürfte die Beerdigung mittlerweile vorbei sein.« Wieder lachte sie und nickte Evie zu. »Ich hoffe, du fürchtest dich nicht vor Friedhöfen, Liebes.«
    Evies Brust zog sich zusammen. Friedhöfe?
    Vater senkte den Blick, und Maggie stockte. Sie sah beide abwechselnd an.
    »Hast du das denn nicht gewusst?«, fragte sie. Sie warf einen Blick auf Evies beunruhigtes Gesicht und drückte tröstend ihre Schulter. »Keine Angst, Liebes«, sagte sie. »Ich bin in dem Haus aufgewachsen und habe nie ein einziges Gespenst zu Gesicht bekommen. Und glaube mir: Ich habe aufgepasst .«

Das Haus am Friedhof
    Evies Herz hämmerte, als sie in die Auffahrt zu dem alten Haus mit der abblätternden Farbe und den kaputten Fensterläden einbogen. Sie ballte vor Zorn die Fäuste. Sie konnten doch nicht neben einem Friedhof wohnen! Unmöglich . Es war noch nicht mal der richtige Friedhof. Heiße Tränen stiegen in ihr hoch, doch sie ließ es nicht zu.
    »Evie, ich …« Vater stellte den Motor ab und starrte auf das Steuer. »Ich wollte es dir ja sagen. Es ist bloß … ich wollte, dass du diesem Haus eine Chance gibst, und sobald wir drinnen sind, sieht man den Friedhof kaum mehr. Wir tun einfach so, als wäre er gar nicht da.«
    Er wartete auf eine Antwort von ihr, und als sie schwieg, machte er die Augen zu. »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Ich hätte es dir vorher sagen sollen.«
    Mom hätte es ihr gesagt. Daran hatte sie keinen Zweifel.
    Evie verschränkte die Arme. »Ich hasse dich«, sagte sie. »Ich werde nicht aussteigen. Nie im Leben. Nicht, wenn ich in einem alten Schrotthaus neben einem Friedhof wohnen muss.«
    Vater umklammerte das Steuer noch fester, und beinahe wünschte sich Evie, dass er sie anbrüllen würde, doch er tat es nicht. Stattdessen stieg er aus und sammelte schweigend die Getränkedosen und Chipstüten auf dem Vordersitz ein.
    »Früher oder später wirst du reinkommen«, prophezeite er, als er fertig war. »Es ist zu kalt, um lange hier draußen zu bleiben.« Dann schlug er die Fahrertür laut zu und ging zum Haus. Evie sah zu, wie er mit dem Schlüssel herumhantierte und dann die Tür mit der Schulter aufdrückte. Er ging hinein, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Vielleicht hatte er vergessen, dass sie überhaupt da war.
    Evie wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. Dann betrachtete sie das alte Haus genauer. Zwei rissige Holzstufen führten hinauf zu einer breiten Veranda mit morschen Pfeilern. Struppige, kahle Büsche umsäumten die Veranda, und im Vorgarten stand ein spindeldürrer Kirschbaum. Seitlich vom Haus wuchs eine alte Weide, und dahinter fingen die Apfelbäume an. Sie waren so nahe, dass man die erste Reihe fast berühren konnte.
    Doch es waren nicht die Apfelbäume, die Evie schließlich aus dem Lastwagen lockten. Es war auch nicht die Kälte, von der ihre Hände und Zehen klamm wurden. Es war das Innere des Hauses.
    Vater hatte die Haustür offen gelassen, und Evie konnte in den Flur sehen, in dem ein Bild hing. Selbst vom Wagen aus war das Gemälde deutlich zu erkennen, das zwischen Treppengeländer und Wand hing. Es war das Porträt eines alten Mannes mit Falten im Gesicht und einem

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