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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ihre Rückkehr sich auf die allgemeine Stimmung auswirken würde. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder wütende, hasserfüllte Rachegelüste oder noch größere Vorsicht.
    Nachts schlief Erik mit der Bibel zwischen Türrahmen und Türklinke, während Pierres alter Hockeyschläger an seinem Nachttisch lehnte.
    Aber sie kamen nicht. Stattdessen rannten sie auf den Wegen herum und suchten Erik, und wenn sie ihn fanden, hatte er nie die Mütze bei sich. Die lag im Holzstapel auf dem Waldweg.
    Er ging weiter mit Marja spazieren und lauschte ihren Berichten über das fremde, harte Leben in Savolaks, in dem die fünfundsiebzig Kronen, die sie jede Woche nach Hause schickte, den Unterschied zwischen normaler Armut und bitterer Armut ausmachten.
    Als die Abende heller wurden und der Horizont lange rot blieb, verführte sie ihn behutsam.
    Er sagte zu ihr »Ich liebe dich« und das konnte gar nichts anderes sein als wahr.
    Er erklärte ihr, solange er sie habe, könne er nicht das Risiko eingehen, noch einmal die Mütze mit den drei Löchern aufzusetzen, auch wenn Silverhielm auf diese Weise ungeschoren davonkäme. Sie sagte, mit ihrer klaren, derben Logik in ihrer klangvollen, schönen Sprache, er sei seinem besten Freund die Rache an Silverhielm schuldig.
    Und da hatte sie natürlich Recht. Aber er sagte noch einmal »Ich liebe dich«, und er sagte ihr, mit einer Formulierung, die klang, als könne sie Berge versetzen, dass die Liebe eben doch das Größte von allem sei. Da lachte sie ihn aus und nannte ihn mitten in seinem glühenden Ernst einen dummen Quatschkopf. Er lachte verlegen, als er auf ihre spitzen finnischen Lederstiefel hinunterblickte. Doch, sagte er dann, vielleicht bin ich ein dummer Quatschkopf.
    Ihre Beziehung war kaum ein Geheimnis, aber sie war auch nicht sonderlich ungewöhnlich oder auffällig. Es war verboten, nachts ins Speisesaal-Gebäude zu gehen, aber es war nicht verboten, Arm in Arm spazieren zu gehen. Das taten auch andere, und es hatte immer andere gegeben, die es taten.
    An einem Sonntagnachmittag wurde sie entlassen und nach Hause geschickt. Erik erfuhr es, als er aus dem Arrest kam. Es war Anfang April und die Abende waren schon zu hell für die Mütze mit den drei Löchern.
    Es gab genügend schadenfrohe Gerüchte darüber, warum sie weg war. Der Rat sei zum Rektor gegangen, um seine Besorgnis über etwas zum Ausdruck zu bringen, was man doch offenbar als Verhältnis ansehen konnte. Es gebe zwar keine Beweise dafür, dass zwischen Erik und dem betreffenden Dienstmädchen etwas geschehen war, aber es gebe vielleicht gute Gründe zu verhindern, dass etwas geschah?
    Und nichts war leichter, als eine kleine Serviernutte loszuwerden.
    Das Gerücht mit allen Details erreichte Erik schon Minuten, nachdem er mit seinem üblichen Bücherstapel unter dem Arm aus dem Arrest entlassen worden war.
    Zuerst verstummte er und ging auf sein Zimmer und blieb dort eine Weile sitzen. Er starrte stumm vor sich hin. Dann erhob er sich und schlug, während ihm die Tränen über die Wangen strömten, den Schreibtisch und den Schreibtischstuhl zu Sägespänen. Danach ging er zur Hantel in der Turnhalle, legte zusätzliche Gewichte auf und brüllte vor Hass und Anstrengung, als er sie wieder und wieder stemmte, bis seine Arme gefühllos wurden. Als er die Hantel zum letzten Mal abgesetzt hatte, ließ er sich auf einen niedrigen Kasten sinken und schlug die Hände vors Gesicht.
    Danach ging er auf sein Zimmer, sammelte die Reste der Möbel zusammen, die zweifellos zu einem Posten auf der Monatsrechnung führen würden, der wiederum den Anwalt, der die »Studienstiftung für Eriks Vorankommen« verwaltete, zu einem weiteren seiner lächerlich formulierten Briefe über Verantwortung und Zukunft und Verstand veranlassen würde. Und Vernunft. Das war das schlimmste von allen Wörtern der Erwachsenensprache - Vernunft!
    Er machte sich an diesem Abend nicht die Mühe, die Bibelsperre anzubringen. Er lag auf dem Bauch und bohrte sein Gesicht ins Kissen. »Marja, ich werde nie eine andere lieben als dich«, flüsterte er und wusste mit der ganzen pochenden Gefühlskraft seines Alters, dass er die reine Wahrheit sprach. Danach schlief er in einer Art Erschöpfung rasch ein.
    Doch das war ihnen noch immer nicht genug.
    Marja schrieb ihm einen Brief. Der Brief kam eine Woche, nachdem ihr gekündigt und sie mit ihrem ausstehenden Lohn von 472 Kronen in der Manteltasche zum Bahnhof geschafft worden war. Offenbar hatten sie mit

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