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Evil

Evil

Titel: Evil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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starrte sie mich an. Etwas Seltsames war auf einmal in ihrem Gesicht. Misstrauen.
    Ich zögerte.
    »Ja, genau. Das sind meine Cousins. Cousins zweiten Grades. Ich bin so was wie die Nichte von Ruth.«
    Auch ihre Stimme hörte sich jetzt irgendwie anders an. Teilnahmslos. Als gäbe es da etwas, was mich nichts anging. Als würde sie mir etwas sagen und es gleichzeitig verheimlichen.
    Das verwirrte mich, und ich hatte das Gefühl, dass sie auch verwirrt war.
    Zum ersten Mal kam sie mir nervös vor. Nicht einmal die Sache mit der Narbe hatte sie so aus der Fassung gebracht.
    Trotzdem dachte ich mir nichts dabei.
    Denn den Chandlers gehörte das Nachbarhaus.
    Und Ruth … also, Ruth war einsame Spitze. Auch wenn sich ihre Kinder manchmal wie Idioten aufführten, Ruth war klasse.
    »Hey, dann sind wir ja Nachbarn! Ich wohne in dem braunen Haus nebenan.«
    Ich schaute ihr nach, wie sie die Böschung hochkletterte. Oben drehte sie sich um. Sie lächelte wieder so offen und unbekümmert wie zuvor, als sie sich neben mich auf den Felsen gesetzt hatte.
    Sie winkte. »Bis bald, David.«
    »Bis bald, Meg.«
    Toll, dachte ich. Unglaublich. Dann werden wir uns jetzt öfter sehen.
     
    Es war der erste Gedanke dieser Art, den ich jemals hatte.
    Das ist mir inzwischen klar.
    Dieser Tag, an dem mir Megan Loughlin auf dem Felsen begegnete, war für mich der Beginn des Erwachsenwerdens. Megan Loughlin, die ich noch nie vorher gesehen hatte, die zwei Jahre älter war als ich und eine Schwester, ein Geheimnis und langes rotes Haar hatte. Dass mir dieses Erlebnis so selbstverständlich vorkam, dass ich so ruhig geblieben war und mich sogar darüber gefreut hatte, das, glaube ich, sagte viel darüber aus, welche Möglichkeiten in mir steckten – und natürlich auch in ihr.
    Und bei dieser Vorstellung wird mein Hass auf Ruth Chandler noch größer.
     
    Ruth, du warst wunderschön damals.
    Ich habe viel über dich nachgedacht – nein, eigentlich habe ich dich sogar studiert. Ich bin sehr weit gegangen, um deine Vergangenheit ans Licht zu zerren. Eines Tages habe ich gegenüber dem Bürogebäude in der Howard Avenue geparkt, von dem du uns immer erzählt hast. Wo du den ganzen Laden geschmissen hast, während unsere Jungs weg waren und im Großen Krieg Teil zwei gekämpft haben. Das Büro, in dem du ganz und gar unersetzlich warst, zumindest bis »die kleinen GI-Rotzlöffel wieder hereinstolziert sind«, wie du es ausgedrückt hast, und du auf einmal arbeitslos warst. Ich habe dort geparkt und mir das Gebäude angeschaut, Ruth. Es war nichts Besonderes. Schäbig, traurig und langweilig.
    Ich bin nach Morristown gefahren, wo du geboren bist, und auch das hat nichts gebracht. Natürlich wusste ich nicht, in welchem Haus du aufgewachsen bist, aber irgendwie konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass hier deine großen enttäuschten Hoffnungen ihren Ursprung haben sollten. Ich habe nichts gesehen von den Reichtümern, mit denen dich deine Eltern angeblich überschüttet haben, und nichts von den Ursachen für deine rabiate Verzweiflung.
    Sogar in Willie seniors Kneipe war ich. Ja, Ruth, ich habe deinen Mann gefunden! Nach Fort Myers in Florida ist er abgehauen, nachdem er dich und die drei kleinen Schreihälse auf einem Berg von Schulden sitzen gelassen hatte. Die ganzen dreißig Jahre ist er dort geblieben und hat den Barkeeper für die Rentner gespielt – ein harmloser, liebenswürdiger Kerl, der seine beste Zeit schon längst hinter sich hatte. Ich habe ihm ins Gesicht und in die Augen geschaut und mich mit ihm unterhalten. Nichts war zu erkennen von dem Mann, den du immer beschrieben hast, kein wilder Hengst, kein »reizender irischer Scheißer« und auch kein gemeiner Saukerl. Auf mich wirkte er einfach nur alt und verbraucht. Säufernase, Bierbauch und ein fetter, schlaffer Arsch in einer ausgebeulten Hose. Und er sah auch nicht so aus, als wäre er jemals brutal gewesen, Ruth. Das war das eigentlich Überraschende.
    Nein, die Gewalt ging nicht von ihm aus.
     
    Was sollte das Ganze, Ruth? Hast du uns belogen? Hast du dir das alles bloß ausgedacht?
    Zutrauen würde ich es dir.
    Aber wahrscheinlich waren in deiner Einbildung Wahrheit und Lüge einfach das Gleiche.
     
    Doch das werde ich jetzt ändern. Ich werde unser kleines Geheimnis ausplaudern. Offen und ohne lange Umschweife.
    Diese Geschichte ist für dich, Ruth. Ich konnte es dir nie richtig heimzahlen.
    Aber jetzt präsentiere ich dir die Rechnung. Mit Zins und

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