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Evil

Evil

Titel: Evil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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keine Kriminellen, sondern jugendliche Deliquenten.
    Nach dem Gesetz waren wir also automatisch unschuldig und konnten für unsere Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden, als wäre jeder Mensch unter achtzehn unzurechnungsfähig und nicht in der Lage, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Unsere Namen wurden nie an die Presse weitergegeben. Die Sache blieb geheim, und wir kamen ohne Vorstrafe davon.
    Das kam mir ziemlich seltsam vor, doch da wir ja auch von den Rechten der Erwachsenen ausgeschlossen waren, war es wohl nur natürlich, uns auch von der Verantwortung der Erwachsenen auszuschließen.
    Natürlich, außer vielleicht für Meg und Susan.
    Donny, Willie, Woofer, Eddie, Denise und ich kamen vors Jugendgericht, und Susan und ich sagten als Zeugen aus. Es gab weder Staatsanwalt noch Verteidiger, nur den Richter Andrew Silver und eine Hand voll Psychologen und Sozialarbeiter, die ernsthaft darüber diskutierten, was mit uns geschehen sollte. Doch das stand eigentlich schon von Anfang an fest. Donny, Willie, Woofer, Eddie und Denise wurden in Jugendstrafanstalten verfrachtet – eine Besserungsanstalt, wie wir das nannten. Eddie und Denise nur für zwei Jahre, weil sie an der eigentlichen Tötung nicht beteiligt gewesen waren. Donny, Willie und Woofer bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr, das härteste Strafmaß, das man damals als Jugendlicher bekommen konnte. Mit achtzehn mussten sie entlassen und ihre Namen aus dem Strafregister gelöscht werden.
    Die Taten des Kindes durften nicht dem erwachsenen Menschen zur Last gelegt werden.
    In einer anderen Stadt oben im Lakes District wurden neue Pflegeeltern für Susan gefunden.
    Aufgrund ihrer Aussage vor Gericht und der Tatsache, dass es nach dem Jugendstrafrecht streng genommen so etwas wie eine Komplizenschaft nicht gab, wurde ich der Obhut meiner Eltern übergeben und bekam eine psychiatrische Betreuerin zugewiesen, eine langweilige, lehrerinnenhafte Person namens Sally Beth Cantor, die mich genau ein Jahr lang erst einmal pro Woche und dann einmal pro Monat aufsuchte und die immer sehr besorgt schien um meinen »Fortschritt in der Aufarbeitung« dessen, was ich gesehen und getan – und vor allem nicht getan – hatte, die aber auch immer so wirkte, als wäre sie halb am Einschlafen, weil sie das alles schon eine Million Mal gemacht hatte, und als würde sie sich im Grunde ihres Herzens nur wünschen, dass mich meine Eltern viel weniger nachsichtig behandelten als die Justiz oder dass ich mit der Axt auf meine Mom losging, nur damit sie endlich einen handfesten Vorfall hatte, mit dem sie etwas anfangen konnte. Dann war das Jahr vorbei, und sie kam nicht mehr. Es dauerte drei Monate, bis ich sie vermisste.
     
    Keinen von ihnen habe ich jemals wiedergesehen. Zumindest nicht persönlich.
    Susan und ich schrieben uns eine Zeit lang. Ihre Knochen heilten wieder. Sie mochte ihre Pflegeeltern. Sie fand neue Freunde. Dann kamen keine Briefe mehr von ihr. Ich fragte sie nicht nach dem Grund. Ich konnte ihr keinen Vorwurf machen.
     
    Meine Eltern wurden geschieden. Mein Vater verließ die Stadt. Ich sah ihn nur noch selten. Ich glaube, dass er sich letztlich für mich schämte. Auch ihm konnte ich keinen Vorwurf machen.
     
    Beim Schulabschluss war ich schlechter Durchschnitt, was für niemand eine Überraschung war.
    Ich ging sechs Jahre aufs College, unterbrochen von zwei Jahren in Kanada, um dem Wehrdienst zu entgehen, und machte mein Diplom als Betriebswirt. Diesmal war ich Drittbester meines Jahrgangs, was für alle eine große Überraschung war.
    Ich bekam eine Stelle an der Wall Street, heiratete eine Frau, die ich in Victoria kennen gelernt hatte, ließ mich scheiden, heiratete wieder und wurde ein Jahr später erneut geschieden.
    1982 starb mein Vater an Krebs. Meine Mutter hatte '85 einen Herzinfarkt und starb auf dem Küchenboden neben dem Spülbecken mit einem Stück Brokkoli in der Hand. Obwohl sie schon lange allein gelebt hatte und für niemanden mehr kochte, hatte sie bis zum Schluss die Gewohnheit beibehalten, gut zu essen. Man konnte ja nie wissen, wann die nächste Depression kam.
    Mit meiner Verlobten Elizabeth fuhr ich nach Hause, um das Haus meiner Mutter zu verkaufen und ihren Nachlass zu regeln. Zusammen sichteten wir die vermischten Überreste der vierzig Jahre, die sie dort gelebt hatte. In einem Roman von Agatha Christie fand ich nicht eingelöste Schecks. Ich entdeckte Briefe, die ich ihr vom College geschrieben hatte, und

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