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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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Menschenaffen den See erreichten, wateten ein paar
aufrecht hinein, bis sie hüfthoch im Wasser standen. Dann
schöpften sie mit den Händen blaugrüne Algen aus dem
Wasser und schluckten sie hinunter: Diese Art der Nahrungsaufnahme
war auch einer der Vorzüge des aufrechten Gangs. Ein paar Junge
tauchten unter und säuberten das staubverkrustete Fell; dabei
kreischten und spritzten sie wie verrückt. Eine Vogelschar, die
friedlich in der Mitte des Sees getrieben war, wurde aufgeschreckt
und schwang sich mit einem lauten Rauschen in die Lüfte.
    Ein paar der jüngeren Männchen hatten sich am Seeufer
versammelt, darunter auch Wedel und Finger. Wedel hatte einen
Kieselstein gefunden, den er vielleicht als Hammer-Stein zu verwenden
mochte, und spielte mit ihm herum. Hin und wieder warfen die
Männchen Capo verstohlene Blicke zu. Ihre Körpersprache
kündigte eine Verschwörung an.
    Capo schürzte die Lippen und spuckte eine Erdbeere aus.
    Er hatte eine sehr hohe soziale Intelligenz und wusste, was die
jüngeren Männchen gerade dachten. Er hatte sie zwar in
Sicherheit gebracht, aber das genügte nicht: Dass er vor der
Überwindung dieser letzten grasbewachsenen Hürde
gezögert hatte, hatte bei den anderen keinen guten Eindruck
gemacht. Um seine Autorität wiederherzustellen, musste er sich
etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Er konnte zum Beispiel ein
paar Äste abreißen und am Seeufer entlang stolzieren; das
Laub, das Wasser und das Licht wären eine eindrucksvolle
Kulisse. Dann würde er schwere Kämpfe bestehen
müssen…
    Aber vielleicht war jetzt noch nicht die Zeit dafür.
    Er beobachtete, wie Mütter vorsichtig ihre Kinder badeten und
junge Männchen spielerisch miteinander rangen, während
Gliedmaßen und Haut sich von der Hitze und Trockenheit der
Salzpfanne erholten. Das hatte noch Zeit – sollten sie sich erst
einmal von der Wanderung erholen, ehe sie wieder zur Tagesordnung
übergingen.
    Zumal er sich im Moment auch nicht in der Lage fühlte, sich
auf eine neue Auseinandersetzung einzulassen. Die Glieder schmerzten
ihn, die Haut war wund und mit Kratzern und Rissen übersät,
und der Magen, der an eine stetige Versorgung mit Nahrung und Wasser
gewöhnt war, knurrte wegen der unregelmäßigen
Nahrungsaufnahme. Er war müde. Er rieb sich die Augen,
gähnte und gestattete sich einen explosiven Rülpser. Capo
fand, dass der Ernst des Lebens noch für eine Weile warten
konnte. Erst einmal musste er sich ausruhen.
    Mit dieser Entschuldigung wandte er sich vom Wasser ab und lief in
den Wald.
    Er fand einen Kapokbaum, der mit dicken reifen Früchten
behängt war. Jedoch war der Kapok mit langen, spitzen Dornen
bewehrt, um die Früchte zu schützen. Also riss er zwei
glatte Äste vom Baum ab, legte sie sich unter die
Füße und umklammerte die Äste mit den Zehen. Dann
erklomm er mit den Ästen unter den Füßen den Baum und
ging über die Dornen hinweg, als ob sie gar nicht existierten.
Das Klettern verlieh ihm neue Spannkraft – dafür war er
geschaffen; von ihm aus hätte er in seinem ganzen Leben keinen
Fuß mehr auf den Boden setzen müssen.
    Als er einen dichten Fruchtstand erreicht hatte, riss er wieder
einen Ast ab und legte ihn über die Dornen. Dann setzte er sich
darauf und langte zu.
    Von hier aus sah er, dass der Wald sich um den Seitenarm eines
Flusses zog, der durch diese vegetationsreiche Sahara nach Süden
ins Landesinnere strömte. In der Zukunft würde diese
Nil-Arterie durch tektonische Verschiebungen ihren Lauf ändern
und nach Süden umgeleitet werden, sodass sie die Sahara nicht
mehr durchquerte. Schließlich würde der Fluss in
Westafrika in die Bucht von Benin münden – die Menschen
würden ihn ›Niger‹ nennen: Selbst Flüsse wurden
von der Zeit geformt, während wie im Traum das Land sich hob und
senkte, während Berge aufgetürmt und abgetragen wurden.
    Fürs Erste führte dieser Fluss jedoch als ein
grüner Korridor ins Landesinnere. Die Horde konnte diesem Weg in
den Wald folgen und würde sich dabei immer weiter von der
Küste entfernen…
    Ein durchdringender Schrei hallte durch den Wald. Es war ein
Schrei mit einer einzigen Bedeutung: Hier lauert Gefahr. Capo
spie einen Mund voll Früchte aus und kletterte hastig auf den
Boden.
    Bevor er den See noch erreichte, hatte er das Problem bereits
erfasst. Er vermochte sie zu riechen. Und bei genauerem
Hinsehen erkannte er auch die Spuren, die sie bei ihrem Durchzug
hinterlassen hatten: Schalenfetzen von Früchten, die auch

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