Evolution
folgen.
III
Am nächsten Tag mussten sie das Salz durchqueren. Unter einem
ausgewaschenen, blauweißen Himmel erstreckte die Pfanne sich
fast bis zum Horizont, wo Capo Hügel, Wald und Feuchtgebiete
ausmachte. Es war, als ob diese graue Schicht ein Makel wäre,
mit dem die Welt behaftet war.
Die Salzschicht, die harten grauen Lehm bedeckte, war dünn.
Aber sie hatte eine Textur und war hier und da mit weiten
konzentrischen Kreisen markiert, die um zentrale Knoten zentriert
waren. An einer Stelle war das Salz von einer unterirdischen Quelle
zu großen Blöcken aufgeworfen worden, über die die
Menschenaffen hinwegklettern mussten.
Aber es wuchs nichts im Salz. Es gab nicht einmal irgendwelche
Spuren. Und es regte sich nichts außer den Menschenaffen: weder
Kaninchen noch Nagetiere, nicht einmal Insekten. Der Wind strich
stöhnend über diese tote Landschaft, ohne dass sich ihm
Bäume, Büsche oder Gräser entgegengestellt
hätten, die er zum Rauschen anzuregen vermocht hätte.
Dennoch musste Capo weitergehen, denn er hatte keine andere
Wahl.
Es dauerte Stunden, die Salzpfanne zu durchqueren. Doch
schließlich merkte Capo, dem schon die Füße und
Hände wehtaten, dass er eine Steigung erklomm. Auf dem Kamm des
Höhenzugs war ein Waldgürtel – auch wenn der Wald
dicht war und nicht sehr einladend wirkte.
Capo hielt inne und musterte den Wald. Er war überhitzt und
Beine und Füße bluteten aus einem Dutzend kleiner Wunden.
Dann gab er sich einen Ruck und drang ins grüne Dämmerlicht
des Waldes ein.
Der Boden war unter einem Gewirr aus Wurzeln, Ästen, Moos und
Laub verborgen. Überall wuchs büschelweise wilder Sellerie.
Obwohl es gegen Mittag war, war die Luft hier kühl und feucht.
Es war diesig wie bei einem Morgennebel. Die Bäume waren
glitschig, und die Flechten und das Moos hinterließen
lästige grüne Streifen auf den Handflächen. Die
Feuchtigkeit schien sogar durchs Fell zu dringen. Nach der trockenen
Salzpfanne genoss er jedoch das tröstliche grüne Geflecht
um sich herum und verschlang die Blätter, Früchte und
Pilze, derer er habhaft wurde. Und er fühlte sich vor
Räubern sicher. Es gab sicherlich nichts, was der hungrigen,
müden Horde in diesem grünen Wald gefährlich zu werden
vermochte.
Plötzlich sah er direkt vor sich massige schwarzbraune
Gestalten. Sie waren durch den grünen Schleier aber nur
schemenhaft zu sehen. Er erstarrte.
Ein mächtiger Arm, der dicker war als Capos Schenkel, griff
nach einem Ast. Muskeln arbeiteten in einer massigen Schulter, und
der Ast wurde mit der gleichen Leichtigkeit zerbrochen, mit der Capo
einen Zweig abbrach, um die Zähne zu reinigen. Große
Finger rissen Blätter von den Ästen und stopften sie in ein
riesiges Maul. Der Kopf arbeitete, als das große Tier kaute:
Muskelstränge wirkten auf Kopf und Kiefer gleichzeitig.
Diese Kreatur war ein Menschenaffen-Männchen, wie Capo eins
war – aber es war doch nicht wie Capo. Das große
Männchen betrachtete die seltsamen, struppigen kleinen
Menschenaffen ohne Neugier. Es wirkte mächtig und bedrohlich.
Aber es bewegte sich nicht. Das Männchen und ein kleiner Clan
aus Weibchen und Kindern saßen nur herum und fraßen das
Laub und den wilden Sellerie, der den Waldboden bedeckte.
Das war ein Gorilla: ein entfernter Verwandter von Capo. Seine Art
hatte sich schon vor einer Million Jahren von der Hauptlinie der
Menschenaffen abgespalten. Diese Trennung war erfolgt, als der Wald
sich gelichtet und die in ihm lebenden Populationen isoliert hatte.
Nachdem sie in die Gipfelregionen zurückgedrängt worden
waren, hatten diese Menschenaffen ihre Ernährung auf
Blätter umgestellt, die selbst hier im Überfluss vorhanden
waren, und waren so groß geworden, dass sie der Kälte zu
widerstehen vermochten. Zugleich hatten sie sich eine
eigentümliche Grazie bewahrt und waren in der Lage, sich lautlos
durch diesen dichten Wald zu bewegen.
Obwohl Gorilla-Populationen sich später wieder an die
Bedingungen im Tiefland anpassten und lernten, auf Bäume zu
klettern und sich von Früchten zu ernähren, hatten sie
ihren evolutionären Sinn im Grunde schon erfüllt. Sie
hatten sich auf ihre jeweiligen Umgebungen spezialisiert und gelernt,
sich Nahrungsquellen zu erschließen, die so gut geschützt
waren – mit Widerhaken, Stacheln und Dornen –, dass niemand
sonst sich dafür interessierte. Sie aßen sogar Nesseln.
Dafür hatten sie ein raffiniertes Verfahren entwickelt, bei dem
sie Blätter von einem Stiel
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