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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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weggehen«, schrie
sie. »Schau den Schnee! Höre den Wind! Was meinst du –
in welcher Richtung ist das Land?«
    Er drehte sich etwas um und setzte das kleine runde Gesicht dem
Schnee aus.
    »Wir haben schon einen großen Fehler gemacht«,
sagte sie. »Wir haben den Sturm nicht kommen sehen. Was sagt
deine Seele dir, was wir tun sollen? Was sagt Millo, dein
Urgroßvater…?« Sie wäre wahrscheinlich imstande
gewesen, ihn zu überwältigen und zum Bleiben zu zwingen,
aber das wäre falsch gewesen. Sie musste ihn überzeugen zu
bleiben. Und wenn er dann immer noch gehen wollte – nun, dann
hatte er es so gewollt.
    Und dann blieb er doch. Mit auf den Wangen gefrorenen Tränen
ließ er sich wieder aufs Eis fallen und schmiegte sich an seine
Schwester. Sie hielt ihn, bis er sich ausgeweint hatte.
    Sie achtete darauf, den lockeren Schnee abzuwischen. Als jedoch
die Dunkelheit hereinbrach – als die weiße Blase sich grau
färbte und dann schwarz, ohne dass der Sturm nachgelassen
hätte –, wurde sie zunehmend müde, hungrig und
durstig.
    Schließlich wurde sie von der Müdigkeit übermannt.
Nur für eine Weile, sagte sie sich; ich werde nur für eine
Weile ausruhen und wieder aufwachen, bevor der Schnee zu dick
wird… Sie träumte davon, geschaukelt zu werden, als ob sie
ein Baby in den Armen ihres Vaters wäre.
     
    Als sie aufwachte, spürte sie das Gewicht vom Kopf ihres
Bruders im Schoß. Das Tosen des Sturms war verklungen. Sie
waren im Dunkeln; es war hier warm – dunkel, warm und sicher.
Sie schloss die Augen und legte sich zurück. Es würde
sicher nichts schaden, noch ein wenig zu ruhen.
    Plötzlich keuchte Millo, als ob er nach Luft schnappen
würde. Sie erinnerte sich an seinen Traum, der davon gehandelt
hatte, dass er im Dunkeln ins Meer gestürzt und ertrunken
wäre. Vielleicht erlebte sie nun den gleichen Traum…
    Dunkelheit.
    In einem Anfall von Panik schob Jahna Millo weg. Sie streckte die
Hand aus und spürte eine dicke Schicht aus lockerem Schnee
über sich. Mühsam stand sie auf und schob den Kopf durch
den Schnee…
    Und schaute in gleißendes Licht. Ihr stockte der Atem
angesichts der sauberen kalten Luft. Der Himmel war eine vollkommene
tiefblaue Kuppel, unter der die Sonne ihre Bahn zog. Ihr Blick
schweifte über eine völlig veränderte Landschaft aus
kreuz und quer durcheinander liegenden, von blaugrauem Packeis
eingeschlossenen Eisblöcken, die noch dazu mit Eis- und
Schneeverwehungen übersät war. Sie stand bis zur Taille im
Schnee und wusste, dass sie gerade noch rechtzeitig aufgewacht war;
die Schneeverwehung hatte sie warm gehalten, aber auch beinahe
erstickt.
    Sie trug den Schnee ab, bis sie Millos Schultern spürte und
zerrte ihn an die Luft. Bald blinzelte er ins Licht und rieb sich die
Augen. Wo er gelegen hatte, war der Schnee von Urin gelb
verfärbt. »Bist du in Ordnung?« Sie wischte ihm den
Schnee aus dem Haar und dem Gesicht, zog ihm die Handschuhe aus und
bewegte seine Finger. »Spürst du die Zehen?«
    »Ich habe Durst«, sagte er kläglich.
    »Ich weiß.«
    »Ich will zu Rood. Ich will zu Mesni.«
    »Ich weiß…« Jahna ärgerte sich über
sich selbst. So was von unvorsichtig, einfach einzuschlafen. Und
diese Nachlässigkeit hätte Jahna und Millo fast das Leben
gekostet. »Gehen wir zur Landzunge zurück.«
    »Gut.«
    Sie zog ihre Handschuhe an und nahm ihn an der Hand. Dann gingen
sie um den Eisblock herum, der ihnen Schutz geboten hatte und
schlugen die Richtung ein, aus der sie tags zuvor gekommen waren. Da
war aber keine Landzunge mehr. Sie vermochte das Land zwar
auszumachen, aber es war eine flache, blank geschliffen wirkende
Küste, die von einer jungfräulichen Neuschneedecke
überzogen war.
    »Wo ist Rood?«, fragte Millo stöhnend.
    Im ersten Moment wollte Jahna nicht wahrhaben, was sie da sah. Der
Frühlingssturm hatte die Landschaft bis zur Unkenntlichkeit
verändert. Und sie kannte das Land auch nicht so gut wie ihr
Vater. Dennoch erkannte sie, dass das nicht die Küste war, die
sie vor dem Sturm verlassen hatte. Gib mir Kraft, Jahna, Mutter
meines Vaters. »Ich glaube, das Packeis ist während des
Sturms aufgebrochen. Wir sind übers Meer getrieben« –
nun erinnerte sie sich auch wieder an diesen Traum vom sanften
Schaukeln – »und hierher verschlagen worden.«
    »Ich kenne diesen Ort nicht«, sagte Millo und deutete
aufs Land.
    »Wir müssen eine weite Strecke abgetrieben
sein.«
    »Na gut«, sagte Millo nüchtern, »dort
müssen wir hin. Zurück zum

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