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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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Land. Stimmt’s,
Jahna?«
    »Ja. Dort müssen wir hin.«
    »Dann komm.« Er nahm ihre Hand. »In diese Richtung.
Pass auf, wo du hintrittst.«
    Sie ließ sich von ihm führen.
     
    Sie wanderten an der Küste entlang. Das schneebedeckte Land
war still. Es regte sich kaum etwas außer hin und wieder ein
Polarfuchs, eine Möwe oder eine Eule. Die Stille war unheimlich
und zerrte an den Nerven.
    Der Marsch durch den Schnee war beschwerlich, vor allem für
Millo mit seinen kurzen Beinen. Selbst die Küste war tief
verschneit. Sie hatten keine Ahnung, wo sie waren und wussten auch
nicht, wie weit das driftende Eis sie entführt hatte. Sie
wussten nicht einmal, ob sie überhaupt in die Richtung gingen,
aus der sie gekommen waren – der Landzunge entgegen. Aber sie
konnten noch von Glück sagen, wurde Jahna sich schaudernd
bewusst, dass die Eisscholle sie nicht aufs offene Meer
hinausgetragen hatte, wo sie unweigerlich erfroren wären.
    Sie stießen auf einen Bach, der so schnell strömte,
dass er trotz dieses für die Jahreszeit untypischen Sturms nicht
zugefroren war. Sie bückten sich bis zum Ellbogen in den Schnee
und tranken. Jahna war erleichtert. Wenn sie kein Frischwasser
gefunden hätten, wären sie vielleicht gezwungen gewesen,
Schnee zu essen. Das hätte wohl den Durst gelöscht, aber
auch das Feuer, das in ihren Körpern brannte – und wenn das
geschah, musste man sterben.
    Wasser hatten sie also. Aber sie fanden keine Nahrung, rein gar
nichts. Sie gingen weiter.
    Sie hielten sich an die Küste, weil es ihnen zu riskant
erschien, sich landeinwärts zu wenden. Dort lauerten viele
Gefahren – nicht zuletzt Menschen.
    Als Primaten mit einem für tropisches Klima ausgelegtem
Körper, die die schnell aufeinander folgenden Extreme des
Pleistozän zu überstehen versuchten, hatten die Menschen
sich die uralten Merkmale zunutze gemacht, die sie von den
sprachlosen Kreaturen der Wälder geerbt hatten: die Bande der
Verwandtschaft und Zusammenarbeit.
    Die über Eurasien und Afrika verstreuten Clans lebten fast
vollständig isoliert voneinander. Und die Isolation ging auch
sehr tief. Fünfzig Kilometer von Jahnas Geburtsort entfernt
lebten Leute mit einer Sprache, die von der ihren sich stärker
unterschied, als das Finnische sich vom Chinesischen unterscheiden
würde. In der Zeit von Weit und auch noch in den Tagen von
Kieselstein hatte eine transkontinentale Einheitlichkeit bestanden,
doch nun gab es unter Umständen schon deutliche Unterschiede
zwischen zwei benachbarten Flusstälern. Die Menschen waren zu
Uneigennützigkeit imstande, dass sie Verwundung,
Verstümmelung und sogar den Tod auf sich nahmen, um anderen zu
helfen – und zugleich waren sie einer extremen
Fremdenfeindlichkeit verhaftet, die schlimmstenfalls in einem
vorsätzlichen und ›generalstabsmäßig‹
geplanten Genozid kulminierte. In einem rauen Land, wo Nahrung knapp
war, hatte es aber schon einen Sinn, dass die Mitglieder einer
Gemeinschaft sich selbstlos unterstützten und andere abwehrten,
die vielleicht knappe Ressourcen stehlen wollten. Sogar dem Genozid
wohnte eine gewisse furchtbare Logik inne.
    Falls die Kinder von Fremden entdeckt wurden, würden sie
Jahna möglicherweise am Leben lassen – aber nur, um sie als
Sexualobjekt zu gebrauchen. Dann konnte sie nur noch hoffen,
schwanger zu werden und von einem der Männer als Partnerin
auserwählt zu werden. Trotzdem würde sie immer nur eine
niedere Stellung innehaben und niemals als vollwertiges Mitglied der
Gemeinschaft akzeptiert werden. Millo hingegen würde man ohne
Umstände töten, nachdem man vorher vielleicht noch ein
wenig mit ihm gespielt hatte, so wie die Katze mit der Maus spielt.
Sie wusste, dass das so war. Weil sie nämlich gesehen hatte, wie
ihre eigenen Leute das praktizierten. Also ließen sie sich am
besten nicht erwischen.
    Während die Kinder weitermarschierten, nagte der Hunger an
ihnen. Sie hatten keinen Proviant dabei, nicht einmal Olachen.
    Sie überquerten einen niedrigen felsigen Höhenzug. Im
Windschatten gedieh ein Fichtenhain. Die zwergwüchsigen
Bäume waren nicht größer als Jahna – immerhin
vermochten sie im Schutz der Felsen überhaupt zu wachsen.
    Plötzlich packte Jahna Millo und warf ihn einfach auf den
Boden. Dann steckten sie die Köpfe aus der Deckung.
    Auf einem zugefrorenen Teich hinter der Erhebung lief eine Schar
Schneehühner umher. Die Vögel pickten auf dem Eis und
steckten die Schnäbel in Ritzen und Spalten. Sie hoben sich
blütenweiß

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