Evolution
Leute, diese
Leute von Keer. Sie haben mich unter den Hunden und den Wölfen
aufgezogen. Deshalb spreche ich nicht so wie ihr.
Aber…«
»Sie lügt«, stieß Cahl hervor. »Sie
weiß nicht einmal, was Cata Huuk überhaupt ist. Sie ist
eine Wilde von den Stämmen im Westen und gehört zu den
Tiermenschen, mit denen ich mich abgeben muss. Ihre Mutter ist eine
fette Schlampe, die ihren Körper für Bier verkauft.
Und…«
»Ich sollte nicht hier sein«, sagte Juna ungerührt
und schaute Keram an. »Nehmt mich mit euch.«
Keram und Muti wechselten unsicher Blicke.
Wütend riss Cahl sich von Muti los. »Ihr wollt bei ihr
liegen. Ist es das?« Er zerrte an Junas schlichtem Kleid und
riss es ihr vom Leib. »Schaut! Die Sau ist voller Ferkel. Wollt
Ihr so etwas stechen?«
Keram runzelte die Stirn. »Ist das Kind von Cahl?«
Sie zitterte heftiger. »Nein. Obwohl mein Bauch ihn reizt und
er mich benutzt. Das Kind ist von einem Mann aus Cata Huuk. Er kam
hierher. Er hat mich benutzt. Er hat mir seinen Namen nicht gesagt.
Er hat mir versprochen…«
»Sie lügt!«, zeterte Cahl. »Sie war schon
schwanger, als ich sie fand.«
»Ich bin nicht für diesen Ort bestimmt«, sagte Juna
und schaute mit einem Ausdruck des Ekels auf die Stadt. »Mein
Kind ist auch nicht für diesen Ort bestimmt. Mein Kind soll in
Cata Huuk leben.«
Keram schaute wieder auf Muti. Der zuckte die Achseln. Keram
grinste. »Ich weiß nicht, ob du die Wahrheit sagst, Juna.
Aber du bist etwas Besonderes, und deine Geschichte wird meinem Vater
sicher gefallen.«
»Nein!« Cahl riss sich wieder los. Die Soldaten
rückten vor. »Ihr könnt sie nicht mitnehmen!«
Keram beachtete ihn gar nicht und nickte Muti zu. »Veranlasse
die Zahlung des Tributs. Hast du – Juna – hier irgendwelche
Besitztümer? Irgendwelche Freunde, von denen du dich
verabschieden willst?«
Sie schien über seine Worte zu rätseln, als ob sie nicht
wüsste, was ›Besitztümer‹ überhaupt waren.
»Nein. Und Freunde – nur Gwerei.«
Keram zuckte die Achseln; der Name sagte ihm nichts. »Triff
deine Vorbereitungen. Wir werden bald aufbrechen.« Er klatschte
in die Hände, und Muti und die Soldaten schickten sich an, seine
Befehle auszuführen.
Cahl, der von einer Wache festgehalten wurde, bettelte und flehte
ohne Unterlass. »Nehmt mich mit! Nehmt mich doch
mit…!«
III
Sie brauchten drei Tage für die Reise zu Kerams
geheimnisvoller Heimat, nach Cata Huuk.
Das Korn und Fleisch, das Keram ›Tribut‹ nannte, wurde
schnell eingetrieben. Juna hatte keine Ahnung, wieso die
Städter, denen es selbst nicht allzu gut ging, einen so
großen Teil ihrer Vorräte diesen Fremden
überließen. Zumal sie nicht einmal Bier dafür
bekamen.
Aber es war nicht die Zeit, diesbezügliche Fragen zu stellen.
Die Sprachkenntnisse, die sie sich im Lauf der Zeit angeeignet hatte,
nachdem sie Keram zum ersten Mal gesehen hatte, hatten sich
ausgezahlt. Nun musste sie schweigen und dorthin gehen, wohin man sie
führte.
Die Gruppe formierte sich zu einer lockeren Linie. Keram und Muti
übernahmen die Führung. Sie wurden von den vier
stämmigen Soldaten gefolgt, von denen zwei die Hände frei
hatten, um die Waffen zu führen und die anderen den Tribut
trugen. Juna, die nichts anderes bei sich hatte als den Speer, mit
dem sie gekommen war, näherte sich einem der Soldaten und
erwartete, dass ein Teil der Last auf sie übertragen wurde.
Keram pfiff sie zurück. »Das ist ihre Arbeit.«
Juna zuckte die Achseln. »In Cahls Stadt wäre es meine
Arbeit.«
»Ich bin aber nicht Cahl. Du musst dich unsren Sitten und
Gebräuchen anpassen, Mädchen.«
»Ich wurde als Kind aus…«
»Ich erinnere mich daran, was du mir gesagt hast«, sagte
Keram und wölbte belustigt die Augenbrauen. »Ich weiß
nicht, ob ich auch nur ein Wort davon glauben soll. Aber hör mir
nun zu. In Cata Huuk ist das Wort des Potus Gesetz. Und ich bin der
Sohn des Potus. Du wirst mir gehorchen. Du wirst meine Entscheidungen
nicht in Frage stellen. Hast du verstanden?«
Junas Leute waren gleichberechtigt wie die meisten Jäger und
Sammler, und deshalb verstand sie nicht. Aber sie nickte brav.
Sie brachen auf. Die jungen Männer, die keine Last zu tragen
hatten, schritten zügig aus. Juna ebenfalls, trotz der
Schwangerschaft und der vier Monate, die sie mit schlechter Nahrung
und harter Arbeit verbracht hatte. Doch die Wachen schnauften und
beklagten sich über schmerzende Füße.
Es war eine große Erleichterung für
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