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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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von Cahl
loszukommen. Hör zu…«
    Zögerlich nickte sie. »Owis«, wiederholte sie.
»Schafe. Owis. Eins, zwei, drei…«
    Und so lernte Juna ihre ersten Worte in der Sprache von Gwerei und
Cahl, diesen ersten Bauern: die ersten Worte in einer Sprache, die
eines Tages als Proto-Indoeuropäisch bezeichnet werden
sollte.
    Die Zeit verstrich, und ihr Bauch wurde immer dicker. Er
behinderte sie bei der Feldarbeit, und sie wurde immer
schwächer. Die anderen Frauen sahen das, und ein paar murrten
auch, obwohl die meisten Frauen Verständnis dafür zu haben
schienen, dass Junas Leistung nachließ.
    Aber sie machte sich trotzdem Sorgen. Was würde Cahl nach der
Geburt des Kinds wohl tun? Würde er sie auch ohne einen dicken
Bauch noch so reizvoll finden? Falls er sie verstieß, wäre
sie in einer genauso schlechten Situation, als wenn sie einfach in
der Hochebene geblieben wäre – und vielleicht in einer
schlechteren, nach der monatelangen Mangelernährung,
zermürbenden Arbeit und an einem Ort, den sie weder kannte noch
verstand. Diese Sorge beherrschte bald ihr ganzes Denken, genauso wie
das wachsende Kind ihr die Kraft aus dem Leib zu saugen schien.
    Und dann kam der Fremde mit der glänzenden Halskette in die
Stadt.
    Es war am Abend. Sie schlurfte wie immer schmutzig und
erschöpft von den Feldern zurück.
    Cahl steuerte auf die Hütte des Bierbrauers zu. Juna hatte
einen Blick auf die großen hölzernen Bottiche in der
Hütte erhascht, wo der Bierbrauer und andere unidentifizierbare
Substanzen zu seinem Weizenbier vergor. Im Gegensatz zu Acta und den
anderen schien das Bier kaum Wirkung bei Cahls Leuten zu haben –
jedenfalls nicht, bevor sie ordentlich abgefüllt waren. Kein
Wunder, dass es eine so nützliche Handelsware für Cahl war:
billig in der Herstellung und heiß begehrt von Acta.
    Doch an diesem Abend war Cahl in Begleitung eines Manns – er
war so groß wie sie, wenn auch etwas kleiner als die meisten
Männer von Junas Leuten. Sein Gesicht war glatt rasiert, und das
lange schwarze Haar war am Hinterkopf zu einem Knoten
zusammengebunden. Er sah jung aus, bestimmt nicht viel älter als
sie. Er hatte einen klaren, wachsamen Blick. Und er trug eine
außergewöhnliche Bekleidung aus weich gegerbten
Tierhäuten, die sorgfältig vernäht und mit
stilisierten tanzenden Tieren in Rot, Blau und Schwarz verziert
waren. Sie mochte gar nicht daran denken, wie viele Stunden Arbeit in
diese Bekleidung gesteckt worden waren.
    Was sie aber am meisten beeindruckte, war die Halskette, die er
trug. Es war eine schlichte Kette aus durchlöcherten Muscheln.
Doch in der mittleren Muschel, direkt unterm Kinn, war ein Klumpen
aus einem Stoff befestigt, der hellgelb glänzte und das Licht
der tief stehenden Sonne widerspiegelte.
    Cahl beobachtete sie. Er ließ den jungen Mann schon mal zur
Hütte des Bierbrauers vorausgehen. »Er gefällt dir,
was?«, quatschte er sie in ihrer Sprache ölig an. »Und
das Gold an seinem Hals gefällt dir wohl auch? Ich kann mir auch
vorstellen, dass du seinen schlanken Schwanz meinem vorziehen
würdest? Sein Name ist Keram. Aber das hilft dir auch nichts. Er
ist aus Cata Huuk. Du weißt aber nicht, wo das ist, nicht wahr?
Und du wirst es auch nie erfahren.« Er griff ihr grob zwischen
die Beine. »Halt du dich nur für mich warm.« Dann
stieß er sie zurück und ging davon.
    Sie hatte seinen letzten Übergriff kaum gespürt. Keram. Cata Huuk. Im Geiste wiederholte sie die seltsamen
Namen immer wieder.
    Denn sie hatte den Eindruck, dass – just in dem Moment, als
er sich umdrehte und zur Brauerei ging – der junge Mann zu ihr
herübergeschaut hatte und seine Augen in einer Art Erkennen sich
geweitet hatten.
     
    Nach einem Vierteljahr reiste Keram wieder von Cata Huuk zur
Stadt.
    Er hatte den Auftrag eigentlich ablehnen wollen. Als jüngster
Sohn des Potus bekam er immer die schlechtesten Aufträge, und
das Eintreiben der Tributzahlungen von diesen entlegenen Orten im
Hinterland der Stadt war so ziemlich der mieseste Job
überhaupt.
    »Und dieses Kaff«, sagte er zu seinem Freund Muti,
»ist das allerletzte. Schau es dir doch nur an.« Der Ort am
Ufer des Flusses war nur eine Ansammlung schmutzigbrauner
Hütten, deren Konturen vom Regen verwischt worden waren.
Stinkender Rauch quoll aus den Dächern. »Weißt du,
wie dieser Ort heißt? Keer.« Dieses Wort bedeutete
›Herz‹ in der Sprache, die die beiden jungen Männer
sprachen – eine Sprache, die in einem breiten Gürtel der
Kolonisierung

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