Evolution
Erwachsenen verständigten sich mit Schreien, Quieken und
Trommelschlägen ihrer kräftigen Schwänze, die weit
reichende Erschütterungen durch den Boden schickten.
Die Sozialfähigkeit dieser Raptoren machte sie als
Räuber so effektiv, dass die Menschenabkömmlinge ihnen
einfach nichts entgegenzusetzen hatten. Die Anzahl der großen
Pflanzenfresser war stetig geschrumpft.
Aber das war freilich auch schlecht für die Raptoren. Und so
hatten im Lauf der Zeit die Elefantenartigen und die Maus-Raptoren
eine Art Symbiose entwickelt. Die Maus-Raptoren lernten, die Herden
der tumben Elefantenartigen zu schützen. Ihre Anwesenheit
schreckte andere Räuber ab. Durch ihr Verhalten und Signale
warnten sie die Elefantenartigen vor Gefahren, zum Beispiel vor
Feuer. Sie lernten es, sie zu Wasserstellen und guten
Weidegründen zu führen.
Alles, was die Raptoren im Gegenzug verlangten, war ein Anteil am
Fleisch.
Die Elefantenartigen ließen das alles über sich
ergehen. Sie hatten auch keine andere Wahl. Schließlich hatte
die Selektion die Elefantenartigen so geformt, dass sie den neuen
Bedingungen entsprachen. Wenn die Raptoren die anderen Räuber
für einen verjagten, wozu brauchte man dann noch Schnelligkeit?
Und wenn sie einem das Denken abnahmen, wozu brauchte man dann noch
Intelligenz?
In dem Maß, wie ihre Körper größer geworden
waren, war das Gehirn dieser Menschenabkömmlinge geschrumpft,
und sie hatten sich der Bürde des Denkens entledigt. Sie glichen
nun Hühnern, deren Gehirn zugunsten größerer
Mägen und eines effektiveren Verdauungssystems geopfert worden
war. Das war aber gar nicht mal so schlecht, wenn man sich erst daran
gewöhnt hatte. Unter der unwissentlichen Führung der
Maus-Raptoren war ihre Anzahl sogar wieder angestiegen. Es war gar
nicht so schlecht, so lang man wegschaute, wenn einem die Eltern,
Geschwister oder die eigenen Kinder genommen wurden.
Es war eigentlich kein schlechtes Leben, von Nagetieren wie von
Hirten behütet – und verzehrt zu werden.
Die Dämmerung setzte ein. Erinnerung fand einen anderen
Akazienhain und kroch vorsichtig in die Äste des höchsten
Baums. Das musste genügen. Wenigstens war sie vom Erdboden
weg.
Als das Licht erlosch, erschienen die Sterne – aber es war
ein überfüllter Himmel. Die Sonne, die ihre endlosen Kreise
durch die Galaxie zog, lief nun durch einen Fetzen aus interstellarem
Staub und Gas, einen Fetzen, der so groß war, dass er
Lichtjahre umspannte. Menschliche Astronomen hatten das schon kommen
sehen. Er war die Vorhut einer riesigen Blase, die von einer uralten
Supernova-Explosion ins Gas geblasen worden war, und ihr Zentrum war
eine Region der Sternentstehung. Und so war der neue Himmel
spektakulär und voller heller, heißer neuer Sterne.
Jedoch gab es niemanden auf der Erde, der dieses Bild zu deuten
vermocht hätte. Erinnerung verbrachte eine schlaflose Nacht und
lauschte dem Quieken, den Trommelschlägen und dem Brüllen
der Räuber, derweil namenlose Sternbilder über den Himmel
zogen.
III
Die ersten paar Hundert Asteroiden, die die Astronomen entdeckten,
waren in ihrem ordentlichen Gürtel zwischen Mars und Jupiter
umgelaufen und hatten einen ausreichenden Sicherheitsabstand zur Erde
eingehalten. Diese Weltraum-Felsbrocken waren eine Kuriosität
gewesen und nur eine theoretische Hausforderung für diejenigen,
die den Ursprung des Sonnensystems studierten.
Die Entdeckung von Eros war freilich ein Schock gewesen.
Man stellte fest, dass er innerhalb des Mars-Orbits umlief –
im erdnächsten Punkt betrug der Abstand zur Erde weniger als ein
Viertel der größten Annäherung zwischen Mars und
Erde. Später wurden noch mehr Asteroiden gefunden, die den Orbit
der Erde sogar schnitten und dadurch Kandidaten für eine
eventuelle Kollision mit dem Planeten wurden.
Eros, dieser erste Irrläufer, war nie vergessen worden.
Solange die Menschen sich mit solchen Dingen beschäftigten, war
der Asteroid eine Art stummer Held seiner Art und
›prominenter‹ als jeder andere.
Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts war Eros das Ziel der
ersten Raumsonde, die in einen Orbit um einen Asteroiden gehen
sollte. Die Sonde wurde NEAR genannt, was für Erdnahes
Asteroiden-Rendezvous stand. Am Ende der Mission hätte die Sonde
sanft auf der Oberfläche des uralten Asteroiden landen sollen.
Diese ersten Astronomen hatten dem Asteroiden den romantischen Namen
des griechischen Gottes der Liebe gegeben. Es war in aller Munde
gewesen, als
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