Evolution
jedenfalls
nicht. Er kam zur Wasserlinie und richte sich auf den kräftigen
Hinterbeinen auf. Die Pflanzenfresser am Wasser wichen ängstlich
zurück. Aber der Maus-Jäger hatte gar kein Interesse an den
Kreaturen, die sich vor ihm tummelten. Mit einer geradezu huldvollen
Geste tauchte er das Furcht erregende Maul ins Wasser und trank. Dann
ging er wieder aufs trockene Land zurück und zupfte mit kleinen,
filigran wirkenden Händen am Gras, als ob er seine Festigkeit
prüfen wollte.
Er sah aus wie die Fleisch fressenden Dinosaurier der Kreidezeit.
Er hatte kurze Ärmchen, einen kräftigen Schwanz, mit dem er
auch das Gleichgewicht hielt, und die Hinterbeine waren
Hochleistungs-Maschinen aus Muskeln und Knochen. Die
Schneidezähne hatten sich in lange Dolche verwandelt, die durch
Stöße des schweren Kopfes zu gefährlichen Waffen
wurden. Der Maus-Raptor war ein Landhai – wie ein Tyrannosaurier
– mit einem neu entdeckten und zu tödlicher Perfektion
fortentwickelten Körperbauplan. Zugleich hatte diese
überhebliche Kreatur jedoch die kleinen Ohren und den braunen
Pelz der kleinen Nagetiere beibehalten, von denen es abstammte.
Der Maus-Raptor schien mit dem Wasser und dem Gras zufrieden. Er
quiekte, spie aus und schlug mit dem Schwanz auf den Boden. In der
Ferne ertönt als Antwort eine Reihe von Rufen, trommelnden
Schlägen und Schreien.
Noch mehr Maus-Raptoren näherten sich dem See. Sie
schwärmten übers Terrain aus und sogen die Luft ein. Ein
paar Junge rannten den Erwachsenen zwischen den Füßen
herum, balgten sich und knabberten sich mit der uralten,
spielerischen Neugier von Räubern an.
Als sie sich versammelt hatten, drehten die erwachsenen
Maus-Raptoren sich um, rissen die Mäuler auf und stießen
ein synchronisiertes Heulen aus. Als Antwort trottete eine Herde
andersartiger Tiere zum Wasser.
Es waren große Geschöpfe, so groß wie
Ziegen-Elefanten. Sie drängten sich nervös zusammen und
rempelten sich gegenseitig an. Und während sie anscheinend unter
der Führung der Mäuse-Raptoren zum Wasser stolperten,
fraßen sie noch schnell das Gras zu ihren Füßen
ab.
Ihre Körper waren mit einem schütteren Fell bedeckt. Die
Köpfe hatten Kämme und die Schädel waren so geformt,
dass sie als Verankerung für die mächtigen Wangenmuskeln
dienten, die wiederum die starken Unterkiefer betätigten. Die
Köpfe sahen aus wie die von robusten Pithecinen. Die eng an den
massigen Schädeln anliegenden Ohren waren groß und
geädert und glichen Kühlrippen. Sie dienten dem Zweck,
überschüssige Hitze von den großen Körpern
abzuführen. Und die kräftigen Hinterbeine, auf denen sie
sich aufzurichten vermochten, hatten zugleich die eigentümliche
Krümmung der Kaninchen-Gazellen: Beine, die allzeit fluchtbereit
waren.
Es waren hässliche Karikaturen von Elefanten. Und sie hatten
sich nicht aus Ziegen und Schweinen entwickelt. Aus nach vorn
gerichteten, großen dunklen Augen unter dicken
Brauenwülsten schauten sie verwirrt und ängstlich in die
Welt. Sie gingen auf allen vieren, wobei sie sich aber auf den
Knöcheln abstützten; eine Körperhaltung, die man einst
als Knöchel-Gang bezeichnet hatte.
Wie bei Erinnerung waren auch ihre Vorfahren Menschen gewesen.
Erinnerung wartete, bis die großen, trägen Tiere die
Tränke erreicht hatten. Sie schubsten sich gegenseitig an und
entfalteten die Ohren in der sich abkühlenden Luft des
Nachmittags. Dann kroch sie davon.
Es hatte Millionen Jahre gedauert, bis die Renaissance des Lebens
abgeschlossen war.
Heute zog sich im Norden von Erinnerungs tropischem Wald ein Band
aus klimatisch gemäßigtem Waldland und Grasland um die
Erde, das sich von Europa-Afrika über Asien bis nach Nordamerika
erstreckte. Hier huschten noch mehr Kaninchen-Arten durchs kühle
Blattwerk, während Tiere wie Igel und Schweine im Unterholz
wühlten. Auf den Bäumen lebten Vögel,
Eichhörnchen und jede Menge Fledermäuse. Diese
vielgestaltige Gruppe von Säugetieren hatte sich vermehrt und
eine beachtliche Formenvielfalt ausgeprägt – nun gab es
nachtaktive Flugtiere, die gar keine Augen mehr hatten und andere,
die gelernt hatten, mit den Vögeln ums reichhaltige
Nahrungsangebot des Tages zu konkurrieren.
Noch weiter nördlich wuchsen Koniferenwälder,
immergrüne Bäume, deren stachlige Blätter auch den
letzten Rest von Sonnenlicht auffingen. Pflanzen fressende Tiere
ernährten sich im Sommer von jungen Trieben und Nadeln und
für den Rest des Jahres von Rinde, Moosen und
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