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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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Baumwurzeln. Die Maulwurf-Leute
ließen sie in Ruhe. Sie war schon seit Tagen hier, ohne an
etwas zu denken und andere Bedürfnisse zu verspüren
außer zu essen, Kot und Urin abzusondern und zu schlafen.
    Trotzdem wurde sie schließlich unruhig. Sie wachte auf und
schaute sich verschlafen um.
    Im trüben, diffusen Licht sah sie, dass Maulwurf-Leute die
Kammer betraten und sie durch einen engen Schacht im Dach wieder
verließen. Sie bewegten sich in einer Linie. Die schlackernde
Haut warf Falten, wenn sich aneinander drückten, die
Schnurrhaare zuckten und die klauenbesetzten Hände
krabbelten.
    Obwohl der Maus-Raptor und andere Gefahren im Hinterkopf
präsent waren, sehnte Erinnerung sich danach, wieder nach
draußen zu kommen – nach dem Tageslicht, nach frischer
Luft, nach Grün.
    Sie wartete, bis die Maulwurf-Leute vorbei geklettert waren. Dann
stieg sie über den Haufen Nüsse und quetsche sich durch die
schmale Bresche im Dach.
    Es war eine Art Kamin, der zu einem Spalt purpurschwarzen Himmels
hinaufführte. Der Anblick des Himmels trieb sie an, und sie
quetschte sich immer höher durch den engen, zerklüfteten
Kamin. Mit Händen und Füßen, Knien und Ellbogen
arbeitete sie sich durch den Dreck und presste Brust und Hüften
durch Lücken, die viel zu klein für sie zu sein
schienen.
    Schließlich steckte sie den Kopf über die Erde. Sie
atmete die frische Luft in tiefen Zügen ein und fühlte sich
gleich viel besser. Aber die Luft war kalt. Die knorrigen Konturen
der Borametz-Bäume verstellten ihr den Blick auf den
Sternenhimmel. Es war Nacht, die Zeit, wo die Maulwurf-Leute sich
bevorzugt an die Oberfläche wagten. Sie schob die Arme aus dem
Loch, legte die Hände auf den Boden und stemmte sich mit der
Kraft eines Baumkletterers hoch, wobei sie den Körper aus dem
Kamin zog wie einen Korken aus der Flasche.
    Die Maulwurf-Leute waren überall; sie rannten auf
Hinterbeinen und Knöcheln umher, schnüffelten, schlurften
und wuselten durcheinander. Aber ihre Bewegungen waren dennoch
geordnet. Sie gingen in Kolonnen, die sich um die Termitenhügel
und Ameisennester schlängelten, zwischen den
Borametz-Bäumen und den Ausstiegslöchern hin und her. Sie
rissen die Nüsse ab, die in Klumpen an den Baumwurzeln wuchsen,
Nüsse, die manchmal so groß waren wie der Kopf eines
Maulwurfwesens. Aber sie schienen sie nicht zu knacken, um ans
Fleisch zu gelangen. Sie brachten sie nicht einmal in die
unterirdischen Lager. Vielmehr holten sie noch Nüsse aus den
unterirdischen Depots herauf, wie sie nun sah.
    Sie brachten die Nüsse zum Rand des Borametz-Hains. Dort
hoben Arbeiter kleine Gruben im Boden aus – wobei sie das
spärliche Gras ausrissen –, in denen die Nüsse dann
abgelegt und vergraben wurden.
    Jeder Borametz war der Mittelpunkt einer symbiotischen
Gemeinschaft von Insekten und Tieren.
    Symbiose zwischen Pflanzen und anderen Organismen war uralt: Die
blühenden Pflanzen und die sozialen Insekten hatten sich quasi
Hand in Hand entwickelt, wobei die einen die Bedürfnisse der
jeweils anderen erfüllten. Und es waren die sozialen Insekten,
die Ameisen und Termiten, die als Erste von den reproduktiven
Strategien der neuen Baum-Art kooptiert worden waren.
    Jede Symbiose war eine Art von Geschäft. Die Pfleger, ob
Insekten oder Säugetiere, lösten die Samen der
Borametz-Bäume vom Stamm oberhalb der Wurzeln ab, aber sie
verzehrten sie nicht, sondern lagerten sie ein. Und wenn die
Bedingungen günstig waren, transportierten sie sie zu einem Ort,
der zur Bepflanzung geeignet war – in der Regel an der
Peripherie eines schon existierenden Hains, wo es kaum Konkurrenz
durch etablierte Bäume oder Gräser gab. Und so wuchs der
Wald. Als Lohn für ihre Mühen bekamen die Pfleger Wasser:
Wasser, das die außergewöhnlich langen Wurzeln des
Borametz selbst in den trockensten Gebieten aus tiefen
Grundwasserschichten heraufholten.
    Es war für die Maulwurf-Leute mit ihrer kooperativen
Gesellschaft und den noch immer beweglichen Primaten-Händen und
Gehirnen nicht schwer gewesen, die Termiten und Ameisen zu imitieren
und die Borametz-Bäume selbst zu hegen. Zumal sie wegen ihrer
größeren Körper auch ein größeres Gewicht
zu tragen vermochten als Insekten, was die Entwicklung neuer
Borametz-Arten mit größeren Samen zur Folge gehabt
hatte.
    Für den Borametz war es eine Frage der Effizienz. Der
Borametz musste viel weniger Energie in jeden erfolgreichen Setzling
investieren als seine Konkurrenten. Also war es eine

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