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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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breiten siebartigen Schnabel aus, der aus dem Wasser stach.
Mit einem lauten Prusten schoss Wasser aus zwei Nasenlöchern,
die sich an der Oberseite des Schnabels befanden, das in der Luft
zerstäubt wurde. Dann krümmte der Körper sich und
verschwand in der Tiefe. Sie erhaschte einen letzten Blick auf einen
Schwanz, und dann war die Kreatur verschwunden. Trotz des massigen
Leibs hatte sie das Wasser kaum aufgewühlt.
    Im ›Kielwasser‹ dieses Riesen sprangen kleinere, aber
auch kräftige Leiber aus dem Wasser – drei, vier, fünf
an der Zahl. Sie beschrieben elegante Bögen, tauchten ins Meer
ein und stiegen immer wieder aus dem Wasser empor. Die Körper
hatten die Gestalt von Fischen, aber diese delfinartigen
Geschöpfe waren offensichtlich keine Fische. Sie waren mit
Vogel-Schnäbeln ausgerüstet, die sich zu langen
orangefarbenen Greifzangen verjüngten.
    Die ›Delfine‹ wurden von anderen Wesen gefolgt, die in
gleicher Weise über die Meeresoberfläche schnellten. Doch
bei diesen viel kleineren Geschöpfen handelte es sich wirklich
um Fische. Die feuchten Schuppen glitzerten, und flügelartige
Flossen an den Seiten der goldenen Körper flatterten, als sie
die kurzen, ruckartigen Flüge übers Wasser
vollführten.
    Der ›Wal‹ war kein echter Wal, wie auch die
›Delfine‹ keine Delfine waren. Diese großen
Meeressäugetiere waren bereits vor dem Menschen ausgestorben.
Diese Wesen stammten von Vögeln ab, und zwar von den Kormoranen
der Galapagos-Inseln im Pazifik, die von widrigen Winden vom
südamerikanischen Festland dorthin verschlagen worden waren. Sie
hatten das Fliegen verlernt und sich zum Meer hin orientiert. Die
Flügel ihrer Nachfahren waren zu Flossen geworden, die
Füße zu Schwanzflossen, und die Schnäbel hatten sich
in spezialisierte Instrumente verwandelt – Greifer und Siebe
–, um Nahrung aus dem Meer zu schöpfen. Ein paar
›Delfin‹-Spezies hatten sogar die Zähne ihrer
Reptilien-Urahnen nachgebildet: Der genetische Entwurf für die
Zähne hatte zweihundert Millionen Jahre im Genom der Vögel
geschlummert und auf den Tag gewartet, an dem er reaktiviert
wurde.
    Über einen Zeitraum von dreißig Millionen Jahren –
unmerklich langsam nach menschlichen Maßstäben –
waren Adaption und Selektion durchaus in der Lage, einen Kormoran in
einen Wal, einen Delfin oder in eine Robbe umzuwandeln.
    Und all die schwimmenden Vögel, die Erinnerung sah, waren
indirekte Nachkommen von Joan Useb.
    Vor Erinnerungs Augen stieß eine delfinartige Kreatur aus
dem Wasser mitten in die Wolke der fliegenden Fische hinein. Die
Fische stoben mit blitzschnellen Schlägen der
Flossen-Flügel auseinander, doch der Schnabel des
›Delfins‹ schloss sich noch um ein paar von ihnen, ehe der
schlanke Leib wieder im Wasser versank.
    Die Sonne machte sich an den langen Abstieg zum Meer. Erinnerung
stand auf, klopfte sich den Sand aus dem Fell und setzte den
vorsichtigen Knöchel-Gang am Strand entlang fort. Doch dann
wurde sie von irgendetwas über sich abgelenkt. Mit der
Befürchtung, dass es sich um einen Raubvogel handelte, schaute
sie zum Himmel empor. Es war ein Licht – wie ein Stern, nur dass
der Himmel noch viel zu hell für Sterne war. Sie sah, wie das
Licht durchs Himmelszelt glitt.
    Das Licht am Himmel war Eros.
    NEAR, die kleine, längst tote Sonde, war für
dreißig Millionen Jahre mit dem Ziel-Asteroiden durch die
Weiten jenseits des Mars geflogen. Die exponierten Teile waren stark
korrodiert, und die Metallwände waren durch den Dauerbeschuss
von Mikrometeoriten auf die Dicke von Papier reduziert worden. Bei
der Berührung einer behandschuhten menschlichen Hand wäre
sie zerfallen wie eine Skulptur aus Staub.
    Doch hatte NEAR bislang als eins der letzten Artefakte der
Menschheit überlebt. Wenn Eros den erratischen Tanz um die Sonne
fortgesetzt hätte, dann hätte NEAR vielleicht noch
länger überdauert. Doch diese Chance sollte die Sonde nicht
bekommen.
    Der Durchgang des Asteroiden durch die Atmosphäre würde
gnädig schnell erfolgen. Die fragile Sonde würde bei der
Rückkehr zum Planeten, auf dem sie entstanden war, in
Sekundenbruchteilen verdampfen, bevor der Himmelskörper, den sie
so lang begleitet hatte, selbst zerstört werden würde.
    Die evolutionären Laboratorien der Erde waren schon oft durch
gewaltige Eingriffe von außen in Gang gesetzt worden. Und sie
würden erneut die Arbeit aufnehmen: Von neuem würden die
Prozesse der Variation und Selektion die Abkömmlinge

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