Evolution
kam
nur darauf an, dass sie keine Bedrohung mehr für sie
darstellten.
Sie sank wieder in ihr improvisiertes Nest, knabberte noch ein
bisschen an der Knolle, dann schlief sie ein.
Die Maulwurf-Leute hatten sich wegen der Trockenheit dieses Orts
unter die Erde verkrochen – deshalb und wegen der Jäger.
Wenn man sich in den Boden eingrub, war man sogar vor Ratten
sicher.
Natürlich hatten sie dafür einen Preis zahlen
müssen. Die Leute waren mit jeder Generation etwas mehr
geschrumpft, um sich besser im wachsenden Tunnelkomplex bewegen zu
können. Und mit der Zeit waren die Körper durch die
Beschränkungen des Lebens im Untergrund geformt worden: Sie
verloren die nutzlosen Augen, die Fingernägel worden zu
Grabklauen und die Körperbehaarung wurde durch Schnurrhaare
ersetzt, die aus länglichen Schnauzen sprossen und ihnen dabei
halfen, ihren Weg im Dunklen zu finden.
Die Trockenheit hatte Kooperation befördert.
Die Maulwurf-Leute lebten von Wurzeln und Knollen, in der Erde
vergrabenen Schätzen. In der Trockenheit wurden die Knollen
groß, wuchsen aber in weiten Abständen. Das war besser so
für die Pflanzen, weil große Knollen nicht so schnell
austrockneten. Eine einzelne Maulwurfs-Person, die aufs Geradewohl
gegraben hätte, wäre wahrscheinlich längst verhungert,
bevor sie auf die dünn gesäten Schätze gestoßen
wäre. Wenn man aber bereit war, seinen Fund zu teilen, dann
erhöhten sich die Erfolgsaussichten für die Gruppe als
Ganzes, wenn viele Kolonie-Mitglieder in allen Richtungen gruben.
Alle Menschenabkömmlinge waren Sozialwesen wie ihre
Vorfahren, und sie spezialisierten sich in dem Maß, wie sie
diese Sozialität entwickelt hatten. Diese Maulwurf-Leute hatten
die Sozialität sozusagen auf die Spitze getrieben. Sie lebten
wie in einem Insekten-Kollektiv, wie Ameisen, Bienen oder Termiten.
Oder vielleicht waren sie auch wie nackte Maulwurfs-Ratten, die
eigenartigen, in Stöcken lebenden Nagetiere, die einst Somalia,
Kenia und Äthiopien verseucht hatten und längst ausgerottet
worden waren.
Dies war ein Stock. Hier waltete kein Bewusstsein. Es war aber
auch gar kein Bewusstsein notwendig. Die globale Organisation des
Stocks war die Summe der Interaktionen seiner Mitglieder.
Die meisten Bewohner der Kolonie waren Weibchen, aber nur ein paar
von diesen Weibchen waren fruchtbar. Diese
›Königinnen‹ hatten die Kinder produziert, über
die Erinnerung in der Kinderstube gestolpert war. Der Rest der
Weibchen war steril; sie hatten nicht einmal die Pubertät
erreicht und widmeten ihr Leben der Aufzucht nicht ihres eigenen
Nachwuchses, sondern der Kinder ihrer Schwestern und Cousinen.
In genetischer Hinsicht ergab das natürlich einen Sinn. Sonst
hätte sich es auch gar nicht so ergeben. Die Kolonie war eine
große Familie, die durch Inzucht zusammengehalten wurde. Indem
man den Bestand der Kolonie sicherte, stellte man auch sicher, dass
sein genetisches Erbe weitergegeben wurde, wenn auch nicht direkt
durch eigenen Nachwuchs. Wenn man steril war, war das die einzige
Möglichkeit, seine Gene weiterzugeben.
Aber das war nicht das einzige Opfer. In dem Maß, wie die
Körper dieser Kolonie-Bewohner geschrumpft waren, waren auch die
Gehirne geschrumpft. Man brauchte kein Gehirn mehr. Der Stock
kümmerte sich um einen, genauso wie die Maus-Raptoren sich um
die Elefanten-Leute kümmerten, die sie in Herden hielten und
verzehrten. Man vermochte die Energie des Körpers sinnvoller zu
nutzen, als ein unnötiges Gehirn damit zu befeuern.
Und mit der Zeit verzichteten die Maulwurf-Leute sogar auf die
wertvollste aller Säugetier-Erbschaften: auf die
Warmblütigkeit. Weil sie ihre Bauten kaum verließen,
brauchten die Maulwurf-Leute keine so aufwändige
Stoffwechsel-Maschinerie – zumal ein kaltblütiger
Späher weniger Nahrung brauchte als ein warmblütiger. In
ein paar Millionen Jahren würden diese Maulwurf-Leute wie
Eidechsen ausschwärmen und in Konkurrenz zu den Reptilien und
Amphibien treten, die die MikroÖkologie seit jeher
bewohnten.
Und so huschten die Maulwurf-Leute ängstlich, unwissend und
mit zuckenden Schnurrhaaren durch die mit Speichel zementierten
Gänge. Doch im Schlaf rollten sie mit den zugewachsenen
rudimentären Augen, während sie von seltsam offenen Ebenen
träumten, auf denen sie frei und ungehindert umherstreiften.
Erinnerung verlor jegliches Zeitgefühl. Im stickig
heißen Gefängnis der Kammer schlief sie, aß Wurzeln
und Knollen und sog Wasser aus den
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