Evolution
hatte Ähnlichkeit
mit der Fynbos-Pflanzenwelt in Südafrika.
Um das Vogelnest zu erreichen, würde Streuner die Deckung der
Bäume verlassen müssen. Und der offene Himmel wirkte sehr
hell – hell und ausgewaschen –, und es lag ein eigenartiger
Ozongeruch in der Luft. Sie hielt unbehaglich inne.
Sie hielt sich am Waldrand und versuchte sich an die Eier
heranzupirschen.
Dabei durchquerte sie einen sumpfigen Abschnitt, einen Teil der
Flutebene des mächtigen Stroms. Sie sah das Wasser: Es war mit
vermoderter Vegetation übersät und schimmerte unter der
hochstehenden Sonne. Hier, nicht weit vom Flussdelta entfernt, war
sie in der Nähe des Meers. Gelegentliche Überschwemmungen
und Hochwasser hatten den Boden mit Salz gesättigt, sodass dort
kaum noch etwas wuchs.
Tiere bewegten sich über die Lichtung und strebten dem
offenen Wasser entgegen. Im Unterholz äste eine Gruppe
gazellenartiger Stenomylus. Die unruhigen Tiere hatten sich
zusammengedrängt und ließen beim Fressen furchtsam den
Blick schweifen.
Sie wurden von einer Cainotherium-Schar gefolgt, die kleinen
langohrigen Antilopen glichen. Es streiften noch weitere hirschartige
Tiere durch den Wald. Der Stenomylus war jedoch keine Gazelle,
sondern eine Abart des Kamels – wie auch das Cainotherium mit
dem seltsamen kaninchenartigen Kopf.
In der Nähe des Ufers hatte sich eine Familie großer
Pflanzenfresser versammelt, die an Nashörner erinnerten. Nur
dass es keine Rhinozerosse waren, und der traurige Abschwung der
Oberlippen gab auch einen Hinweis auf ihre Abstammung: In
Wirklichkeit waren sie Arsinoetheria, also Verwandte der Elefanten.
Im Wasser selbst aalten sich zwei sich paarende Metamynodons, die
Nilpferden sehr ähnlich waren. Watvögel wichen dem
Liebesspiel vorsichtig aus. Die Metamynodons waren jedoch enger mit
Nashörnern verwandt als die Arsinoetheria.
Wo Pflanzenfresser sich versammelten, waren auch Räuber und
Aasfresser nicht weit. Sie taxierten sie, wie es ihre Art war. Den
merkwürdigen Proto-Rhinozerossen und Kamel-Gazellen folgten in
gebührendem Abstand Bärenhund-Rudel – Amphicyons,
Räuber und Aasfresser zugleich, die wie Bären auf platten
Füßen umherliefen.
So war das damals. Ein menschlicher Beobachter hätte sich im
Fiebertraum gewähnt. Ein Bär wie ein Hund, ein Kamel wie
eine Antilope – Gestalten, die in den Grundzügen vertraut
waren und im Detail wie Vexierbilder anmuteten. Die großen
Säugetier-Familien mussten erst noch den Platz finden, den sie
später einmal einnehmen würden.
Und es gab auch in diesem Zeitalter einen ›Champion‹. Am
Waldrand sah Streuner eine schemenhafte Bewegung zwischen den
Bäumen, die von einem riesigen, trägen und bedrohlichen
Wesen ausging. Das war ein Magistatherium, das an einen Bären
erinnerte. Sogar auf allen vieren war es noch doppelt so groß
wie ein aufgerichteter Kodiakbär. Die Reißzähne waren
an der Wurzel fünf Zentimeter dick und doppelt so lang wie die
eines Tyrannosaurus. Und wie der Tyrannosaurus jagte es aus dem
Hinterhalt. Es war das größte Fleisch fressende
Säugetier, das je an Land gelebt hatte, und es beherrschte die
Wälder Afrikas. Aber die Schneidezähne, wichtige Werkzeuge
eines Fleischfressers, waren im Gegensatz zu den Fleischfressern der
Zukunft paarweise angeordnet. Deshalb bestand die Gefahr, dass sie
ausgeschlagen wurden oder abbrachen. Dieser geringfügige
›Konstruktionsfehler‹ sollte schließlich zum
Aussterben des Magistatheriums führen.
Derweil kreuzte der gezackte Rücken eines Krokodils im
größten Teich. Ihm war diese Fremdartigkeit
gleichgültig. Solang jemand dumm genug war, sich dem Reich des
Krokodils zu nähern und solang dieser Jemand Fleisch hatte, das
den Magen füllte und Knochen, die im Maul knirschten, hätte
er auch als der fünfbeinige Grawunkel daherkommen können
– sein Schicksal wäre von vornherein besiegelt.
Schließlich war Streuner nah genug am Nest. Sie brach aus
der Deckung, wobei sie leere Blicke der grasenden Pflanzenfresser auf
sich zog und machte sich über die Eier her.
Das Nest war teilweise mit herabgefallenen Farnwedeln bedeckt,
sodass sie in deren Schutz ans Werk zu gehen vermochte. Ihr lief das
Wasser im Mund zusammen, und sie hob das erste Ei auf – und
stutzte. Mit den Händen strich sie über die glatte
Eierschale, ohne einen Ansatzpunkt zum Aufreißen oder
Aufbrechen zu finden. Sie drückte das Ei an die Brust, was
genauso wenig zum Erfolg führte; die Schale war einfach zu dick.
Es war
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