Evolution
in eine Gruppe Weibchen. Ein
Weibchen betatschte Streuners Gesicht, Bauch und Genitalien. Streuner
schlug ihre Hand weg und kreischte empört. Doch das Weibchen
ließ sich davon nicht abhalten, und nun scharten sich noch
weitere um sie und wollten die Neue in Augenschein nehmen. Diese
Neugier war eine Mischung aus der üblichen Faszination der
Anthros für alles Neue und eine Art Rivalität
gegenüber diesem potenziellen Konkurrenten, einem neuen Rekruten
in den ständig wechselnden Hierarchien.
Streuner war total verwirrt: durch die Blitze, die durch den
purpurnen Himmel zuckten, den Regen, der ihr ins Gesicht prasselte,
das Tosen des Wassers unter ihr, das durchnässte Fell und den
ungewohnten Gestank der Weibchen und Jungen um sie herum. Die offenen
rosigen Münder und tastenden Finger, die sie bedrängten,
gaben ihr den Rest. Sie unternahm einen Fluchtversuch, machte einen
Satz und baumelte kurz über dem Ast.
Und sie erblickte etwas Fremdartiges.
Zwei Indricotheria standen unter dem Baum. Diese großen
Kreaturen mit der dreifachen Masse eines ausgewachsenen Elefanten
waren eine Art ungehörntes Rhinozeros. Sie hatten lange,
giraffenartige Beine und Hälse und eine elefantenartige Haut.
Sie waren von einer gravitätischen Anmut und hatten wegen ihrer
Größe keine natürlichen Feinde. Nun hoben sie die
pferdeartigen Gesichter auf den dicken Hälsen und fraßen
die nassen Blätter vom Baum ab.
Aber sie waren dennoch in Gefahr. Schlammiges Wasser strömte
über den Erdboden und umspülte die Beine der Indricotheria,
als ob der Baum und die Tiere selbst in einem Fluss stünden.
Schließlich brach in unmittelbarer Nähe der flachen
Baumwurzeln eine lehmige Erdschicht vom Flussufer ab und glitt ins
Wasser. Ein mächtiges Indricotherium trompetete und scharrte mit
den elefantenartigen Füßen auf einem Boden, der sich
plötzlich in einen rutschigen, tückischen Abhang verwandelt
hatte – und dann ging es mit verdrehtem Hals und peitschendem
Schwanz abwärts. Fünfzehn Tonnen Fleisch flogen durch die
Luft. Es fiel mit einem lauten Platschen ins Wasser und war im
nächsten Moment verschwunden, mitgerissen vom alles
verschlingenden Fluss.
Das zweite Indricotherium stieß ein trauriges Trompeten aus.
Es war selbst in Bedrängnis, denn der Boden löste sich
schon unter dem anbrandenden Wasser auf, und das Tier brachte sich
stolpernd in Sicherheit.
Und dann geriet der Baum selbst in Gefahr. Die Wurzeln waren durch
die plötzliche Überschwemmung freigelegt worden und hatten
durch die Wucht, mit der der Fluss gegen das Ufer anbrandete, weiter
an Halt verloren. Der Baum knarrte und erzitterte.
Und dann gaben die Wurzeln mit einem salvenartigen explosiven
Krachen nach. Der Baum neigte sich dem Wasser entgegen. Wie Obst von
einem geschüttelten Ast fielen Primaten in allen
Größen vom Baum und stürzten schreiend ins
schäumende Wasser.
Streuner klammerte sich heulend am Ast fest, als der Baum wie in
einem Albtraum in den Fluss kippte.
Die ersten Minuten waren die schlimmsten.
In Ufernähe waren die Turbulenzen am stärksten, weil das
Wasser zwischen der starken Strömung und der Reibung mit dem
Land hin und her gerissen wurde. In diesem mächtigen Strudel war
selbst der große Mangobaum nicht mehr als ein Zweig, der in
einen Bach geworfen wurde. Er bäumte sich auf, knarrte und
verwand sich. Erst fiel das Laub ins Wasser, und dann richteten die
Wurzeln, deren Zwischenräume mit Schlamm und Geröll
verstopft waren, sich wie eine Klaue gen Himmel. Streuner wurde durch
die Luft geschleudert und fiel in schmutzigbraunes Wasser, das ihr in
Mund und Nase drang. Dann kam sie wieder an die
Wasseroberfläche.
Schließlich löste der Baum sich vom Chaos in der
Nähe des Ufers und trieb in die Flussmitte, wo es schnell
ruhiger wurde.
Streuner wurde wieder unter Wasser gedrückt. Durch das
trübe Wasser schaute sie zu einer schimmernden Oberfläche
hinauf, auf der Blätter und Zweige trieben. Mund und Hals
füllten sich mit Wasser, und Panik überkam sie. Mit einem
erstickten Schrei stieg sie durchs Blättergewirr dem Licht
entgegen.
Sie brach durch die Wasseroberfläche. Licht, Lärm und
der heftige Regen brandeten gegen ihre Sinne an. Sie zog sich aus dem
Wasser und legte sich flach auf einen Ast.
Der Baum trieb mit der Krone voran flussabwärts. Das
verrippte Wurzelgeflecht griff nach dem dräuenden, von Blitzen
durchzuckten Himmel aus. Streuner hob den Kopf und hielt Ausschau
nach den anderen Anthros. Es war nicht
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