Ewig Dein
Er: »Und was den Kaffee betrifft, da komme ich einfach irgendwann bei Ihnen im Geschäft vorbei, wenn es recht ist.« Sie: »Ja, tun Sie das.« Er: »Ich freue mich.« Sie: »Ja.«
6.
»Irgendwann« war am nächsten Morgen. Bianca rief: »Frau Cheeefin, Besuch!« Judith wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Hannes mit »Berg« oder »Burg« im Nachnamen blieb unter einem ihrer wertvollsten Stücke stehen, unter dem monströsen ovalen Kristallluster aus Barcelona, den seit fünfzehn Jahren jeder bewunderte und keiner kaufte. »Ich hoffe, ich störe Sie nicht«, sagte er. Er trug eine blaue Strickjacke mit hellbraunen Knöpfen und sah aus wie einer, der jeden Abend am offenen Kamin saß, Earl Grey trank und mit seinen Zehen das dichte Fell eines übergewichtigen Bernhardinerrüden massierte, während die Kinder um ihn herumtollten und ihre Bananenfinger am Sofa abwischten.
Judith: »Nein, Sie stören nicht.« Sie ärgerte sich, dass sie so aufgeregt war, es gab keinen logischen Grund dafür, ehrlich nicht. Sie fand diesen Mann nett, aber vordergründig überhaupt nicht spannend, und an Hintergründiges dachte sie bei Männern prinzipiell nur noch selten. Er war keineswegs ihr Typ, wobei sie zugeben musste, dass sie ihre Typen ohnehin nicht mehr kennenlernen musste, denn kannte man einen, kannte man alle.
Sie wusste nicht genau, was den Reiz des Herrn Hannes mit »Berg« oder »Burg« im Nachnamen ausmachte, vielleicht einfach nur die Dynamik, mit der er den Zufall nach ihr auszurichten verstand, die Unverhofftheit, in der er auftauchte, immer viel früher, als mit ihm zu rechnen war, und die Zielstrebigkeit, mit der er auf sie zuging, als gäbe es für ihn nichts und niemand anderen auf der Welt, nur sie.
Er durfte jetzt aber bitte nicht mit einem Kaffeetreffen daherkommen, das wäre wirklich zu früh gewesen, das hätte sie als Aufdringlichkeit empfunden, da hätte sie ihn leider sofort zurückweisen müssen, in aller Deutlichkeit. Sie hatte keine Lust, die erste Anlaufstelle für einen möglicherweise ein bisschen notgeilen Familienvater zu sein, dessen Frau daheim inzwischen blaue Westen strickte und hellbraune Knöpfe daraufnähte.
Er: »Ich will wirklich nicht aufdringlich sein.« Sie: »Aber nein, das sind Sie nicht.« Er: »Es ist nämlich so, es geht mir seit gestern Abend einfach nicht mehr aus dem Sinn.« Sie: »Was?« Er: »Sie, wenn ich ehrlich bin.« Wenigstens war er ehrlich, dachte sie. Er: »Ich würde Sie schrecklich gerne auf einen Kaffee einladen und ein bisschen mit Ihnen plaudern, einfach nur so. Haben Sie heute nach Geschäftsschluss schon etwas vor?« – »Nach Geschäftsschluss?«, fragte Judith, als wäre das der absurdeste Zeitpunkt gewesen, der ihr je zu Ohren gekommen war. Sie: »Ja leider, da habe ich schon etwas vor.«
Doch wie traurig er schaute, wie niedergeschlagen er die Schultern hängen ließ, wie tief er seufzte, wie verletzt er wirkte, wie ein kleiner Schulbub, dem man den Ball weggenommen hatte. Sie: »Aber ich kann das vielleicht ein wenig aufschieben. Ein schneller Kaffee, nachdem ich zugesperrt habe, das müsste sich schon irgendwie ausgehen.« Zur Sicherheit schaute sie noch einmal auf ihre Uhr. »Oh doch, ich denke, das ließe sich einrichten«, sagte sie.
»Das ist schön, das ist schön«, erwiderte er. Ja, das musste sie sich schon eingestehen, es war eine Freude, ihm beim Ausbreiten dieses Lachens zuzusehen, mehr noch, die Produzentin jener Dutzenden Fältchen zu sein, die sich, vom Licht ihres Lieblingslusters aus Katalonien widergespiegelt, wie Sonnenstrahlen um seine Augen legten.
7.
Sie trafen sich beim »Rainer«, ihrem Mittagspausen-Café, in der Märzstraße. Judith erschien zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit. Sie wollte unbedingt zuerst da sein, um einen Tisch auszusuchen, an dem man einander auf Stühlen gegenübersaß und sich nicht in einer Nische aneinanderquetschen musste. Aber er saß schon da, auf einem unbequemen Stuhl gegenüber einer einladenden Eckbank, die feiner Weise für sie allein bestimmt war.
Das Treffen war für eine Stunde anberaumt, was sich als zu knapp bemessen erwies. Danach ging es in die Verlängerung, der eine kurze Zugabe folgte. Dann setzte Judith der Begegnung ein taktisches Ende. Ihr Schlusswort: »Es war wirklich total angenehm, mit dir zu plaudern, Hannes. Das können wir gern wieder einmal machen.« Wie er sie dabei ansah, das wollte sie sich einprägen, um es abrufen zu können, wenn sie sich selbst
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