Ewig
Süden von Wien war die Heimatstadt der Theresianischen Militärakademie. Bereits vor zweihundertfünfzig Jahren war die Schule auf Verfügung der Kaiserin Maria Theresia in die ehemalige Burg Friedrichs eingezogen.
»Wusstest du, dass noch heute der Siegelring der Absolventen der Militärakademie die fünf Buchstaben ›AEIOU‹ trägt?«, fragte der Wissenschaftler seinen Freund Paul und schlug den Kragen der Jacke gegen Wind und Regen hoch.
»Für so eine prachtvolle Residenz ist das nicht zu viel verlangt, das Motto des Hausherrn auf einem Ring zu tragen«, meinte Wagner und schaute an der Wand mit ihren mehr als hundert Wappen hoch.
Sina folgte seinem Blick. »In der Mitte siehst du Friedrich, umgeben von den vierzehn Wappen der Habsburgischen Länder. Was interessant ist, er trägt den Herzoghut und nicht die Kaiserkrone.«
»Und die vielen anderen Wappen?«, fragte Paul.
»Nach Meinung vieler Historiker sind das Phantasiewappen sagenhafter Herrscher Österreichs aus einer Fabelchronik, deren Bedeutung bis heute niemand wirklich ergründet hat. Ich habe schon daran gedacht, dass es vielleicht sogar die Wappen der ersten Mitglieder des Ritterordens zum heiligen Georg sein könnten, dessen Kirche dies hier war und den Friedrich III. gegründet hatte, aber wirklich verfolgt habe ich diese Idee nie«, antwortete Sina und wies auf die drei Figuren am oberen Ende der Wappenwand.
»Da oben steht in der Mitte die berühmte Kirschenmadonna. Sie heißt so, weil das Jesuskind dem Betrachter einen Korb mit Kirschen entgegenhält, gerade so, als wollte er uns eine anbieten. Die heilige Barbara und die heilige Katharina stehen links und rechts von ihr.« Wagner zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. Tschak schnüffelte begeistert an den alten Steinen der Kirchenmauer. »Kein Hinweis für uns, wie ich das so sehe, außer du kannst aus den Phantasiewappen etwas ablesen, das ich nicht erkenne.« Sie betrachteten so aufmerksam die vielen steinernen Wappen, dass keiner von ihnen den großen schwarzen Audi A8 bemerkte, der an ihnen vorüberglitt und sich in einiger Entfernung in eine Parklücke schob.
Peer van Gavint blickte zufrieden zu Wagner und Sina und gab seinem Chauffeur die Anordnung, im Wagen zu bleiben. Dann stieg er aus und nahm die schwarze Aktentasche vom Rücksitz mit. Während er langsam über den Burgplatz schlenderte, ließ er aufmerksam seine Blicke schweifen, kontrollierte im Geist Passanten und die geparkten Autos, an denen er vorüberging. Er schaute in Auslagenscheiben und lehnte sich in Nebengassen an die Wand, den Nieselregen ignorierend. Als er sicher war, dass niemand vom Orden in der unmittelbaren Umgebung war und eine Gefahr für Wagner und Sina darstellte, war Gavint beruhigt und kehrte langsam zum Wagen der Botschaft zurück. Er gab ihnen noch eine halbe Stunde, dann sollten sie den Hinweis gefunden haben.
»Auf den ersten Blick sehe ich auch nichts, das für uns von Bedeutung sein könnte«, stellte Sina fest und pflichtete damit Wagner bei, der sich etwas ratlos die Dutzenden von Wappen auf der Wand anschaute. Der Regen fiel ihm in die Augen und er wünschte sich einen Hinweis im Inneren der Kirche. Der würde sie wenigstens ins Trockene bringen.
»Das einzige, was mir aus dem Stegreif noch dazu einfällt, ist, dass die Wappenwand zur Zeit des Dritten Reiches hinter einer Ziegelmauer verborgen worden ist. Angeblich, um sie vor den Bombardements der Alliierten zu schützen. Aber das hat nichts zu bedeuten für unsere Suche. Das müssen wir methodisch angehen«, murmelte Sina und fixierte mit zusammengekniffenen Augenbrauen die opulent verzierte Fassade der Kirche.
»Was meinst du mit methodisch«, fragte Paul, aber er war schon gar nicht mehr richtig bei der Sache. Er beobachtete amüsiert, wie sich Tschak begeistert auf dem nassen Pflaster wälzte. »Du hast nichts gegen Kälte und Nässe, Tschak, ganz im Gegenteil. Du versuchst, die Autofahrt abzustreifen, was?«, lachte er und ging in die Hocke, um Tschak den Bauch zu kraulen.
»Ich meine, wir müssen die Augen aufmachen und schauen, ob wir etwas Ungewöhnliches sehen, das vielleicht bisher noch niemandem wirklich aufgefallen ist«, gab Georg zu bedenken. »Die Schilder sind zum Beispiel asymmetrisch angeordnet, was auf den ersten Blick gar nicht richtig ins Auge fällt«, fügte er rasch hinzu.
Paul hob überrascht den Blick. Sina hatte es völlig richtig gesehen, die ersten vier Reihen tanzten aus der geordneten Formation.
»Das
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