Ewige Nacht
der Stamm, der die Erkrankung des Papstes herbeigeführt hat, ist verändert worden. Kann es sein, dass man ihn gentechnisch manipuliert hat?«
»Vermutlich.«
»Haben Sie eine Vorstellung davon, worauf sein Ursprung hindeuten könnte?«
»Wir wissen es nicht mit Sicherheit, aber die Russen haben ein äußert umfangreiches Biowaffenprogramm. Auch Ebola erforschen sie intensiv. Zwar werden die Amerikaner für die führenden Ebola-Experten gehalten, aber die wirklichen Kenner sitzen in Russland.«
»Und wo genau?«
»Vor allem an zwei Stellen. Bei Wektor, dem molekularbiologischen Institut in Koltsowo bei Nowosibirsk. Und in Obolensk in der Nähe von Moskau. Eine Gruppe amerikanischer und englischer Waffenkontrolleure hat 1991 beide Orte besucht.«
»Sagt Ihnen der Mount Mwanga im Kongo etwas? Oder das Mwanga-Höhlensystem?«
Der Amerikaner schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, dass Ebola in den Höhlen bei den Quellgewässern des Ebola-Flusses von einer Art zur anderen übergesprungen ist. Warum fragen Sie?«
»Ich muss zurück zum Flughafen«, sagte Timo und ging zur Tür.
Die Kardinäle waren verschwunden. Wahrscheinlich organisierten sie bereits seinen Rauswurf.
Die Amerikaner begleiteten ihn über die langen Gänge wieder hinaus. Auf einmal glaubte er, eine gewisse Logik in Ralfs Plan zu erkennen. In dessen Augen repräsentierte Afrika die unbefleckte, reine Natur, die vom Westen bedroht wurde. Die Kirche und der Kapitalismus hatten Afrika zu ihrer Kolonie gemacht und die Natur und die Menschen auf diesem Kontinent zerstört.
Im Vatikan hatte Ralf einen Schlag gegen den Papst durchgeführt, in Genua hatte er es gegen die Führer der westlichen Welt tun wollen. Aber warum hatte er dabei das Zünden einer Kernladung in Afrika gefordert? Das schien nicht den geringsten Sinn zu haben: Es wäre ein Schlag gegen jenes Afrika, für das Ralf immer gekämpft hatte. Je mehr Timo darüber nachdachte, umso unheimlicher kam ihm alles vor – besonders da Ralfs Vorgehen bislang meist einer finsteren Logik zu folgen schien.
Selbst der Einsatz von Ebola hatte etwas Symbolisches: Ein tödlicher Organismus, eingefangen im Innern des gepeinigten Kontinents, zerstörte den Körper des Feindes auf möglichst grausame Art, indem er sich in dessen Zellen und Gewebe vermehrte. Die ursprüngliche Natur Afrikas bekämpfte ihre Eroberer mit ihren ureigenen Waffen.
In der Eingangshalle händigte Timo dem amerikanischen Soldaten hinter dem Schalter seine Zutrittsberechtigung aus und ging rasch auf den Ausgang zu. Kurz vor dem Tor aus rostfreiem Stahl und den Schranken, die die Fußgänger portionierten, trat ihm ein kräftiger amerikanischer Oberst in den Weg. In dessen gebräuntem Gesicht war keine Spur eines Lächelns zu erkennen.
»Mr Nortamo?«
Timo nickte. Ihre Gesichter befanden sich auf einer Höhe, einen halben Meter voneinander entfernt.
»Die Vertreter des Vatikans beabsichtigen, offiziell Beschwerde gegen Sie einzulegen.«
»Das ist wohl ihr Recht und ihre Pflicht.«
Nach einer kurzen Unterredung fuhr Timo zum Flughafen, von wo aus er zurück nach Frankfurt und dann weiter nach Kinshasa fliegen würde.
37
»Papst Clemens XV. ist erkrankt und muss in den nächsten Tagen alle Termine absagen«, tönte die rauschende Stimme des Nachrichtensprechers aus dem kleinen Kurzwellenradio.
Ralf sprang aus dem Bett. Durch die dünne Wand hörte man das Zirpen der nächtlichen Grillen.
»Was ist los?« Noora stützte sich auf den Ellbogen.
»Nichts. Ruh dich nur aus.«
Ralf ging nach draußen. Er konnte seine Begeisterung nicht verbergen. Jetzt hatte er die Bestätigung für seinen Erfolg. Es bedrückte ihn nur, dass Theo dieses Ereignis nicht mehr mit ihm teilen konnte.
Er ging über den Hof zum Waldrand und sah auf die Uhr. Die Ladung müsste jeden Moment kommen.
Die Nachricht über den Papst sorgte dafür, dass er sich sicherer und stärker fühlte. Während seiner Studienzeit in Kapstadt hatte er sich gegen drei Feinde erhoben: gegen den Kapitalismus, den Kolonialismus und die Kirche. Sie beuteten die Menschen und die Natur aus und entfremdeten die Naturvölker von ihren Wurzeln und ihrer Kultur.
Die Sowjetunion war das einzige Gegengewicht gegen die westliche Hegemonie und damit Ralfs natürlicher Verbündeter gewesen, dem er geholfen hatte, wann immer es nur möglich war. Außerdem war Moskau aufrichtig an Afrika interessiert gewesen. Afrikas geopolitische Lage war während des Kalten Krieges bedeutsam, und
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