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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Selbstvertrauen signalisierte. Keine Typen, mit denen Timo gern am Verhandlungstisch gesessen hätte.
    In der Touristenklasse saß das gewöhnliche Volk – Kongolesen oder Leute, die beruflich zur Reise in das Land gezwungen waren. Touristen gab es keine, denn selbst die gewieftesten Weltreisenden mieden Kinshasa, wo die Fluggesellschaften es nicht wagten, ihre Maschinen über Nacht auf dem Flughafen stehen zu lassen.
    Die Passagiere bewegten sich unruhig und sahen auf ihre Armbanduhren. Timo bekam das Bild der blutenden Augen des Papstes nicht mehr aus dem Kopf. Bei TERA bemühte man sich gerade, alles über Pater Eugen und seine Verbindungen zum Papst zu beleuchten.
    Endlich verlor die Maschine an Höhe, und die Landung wurde angekündigt. Timo blickte aus dem Fenster, sah aber nicht die Lichter einer Stadt, sondern helle Sterne über pechschwarzer Erde. Im Mittelalter hatte man geglaubt, hinter den Kanarischen Inseln begänne das mare tenebrosum , das Meer der Finsternis. Aber seine wörtliche Bedeutung hatte der Name erst bekommen, nachdem britische, französische und holländische Schiffe die Ufer Afrikas angesteuert hatten, um nach den damals wertvollsten Ressourcen zu jagen: nach Menschen.
    Timo konnte sich nichts Widerlicheres als den Sklavenhandel vorstellen. Als die Portugiesen Ende des 15. Jahrhunderts den Kongo »entdeckten«, hatte das Königreich Kongo schon mindestens hundert Jahre Bestand gehabt. Die Kongolesen hatten ein Verwaltungssystem entwickelt, sie bauten Obst und Gemüse an, betrieben Viehzucht, maßen Entfernungen in Tagesreisen und die Zeit nach dem Mondumlauf. Doch mit dem Sklavenhandel begann der gesellschaftliche Zerfall. Der Tiefpunkt war 400 Jahre später mit der Schreckensherrschaft Leopolds II. erreicht, während der sich die Bevölkerungszahl des Kongo halbierte.
    Den Belgiern hatten zwei neue Erfindungen zur Verfügung gestanden, mit deren Hilfe sie das Land, das fast achtzigmal so groß war wie Belgien, beherrschten: das Maschinengewehr und das Chinin gegen Malaria. Auch gelang es durch Prophylaxen, das Gelbfieber in den Griff zu bekommen, worauf die Sterblichkeitsrate der in Afrika lebenden Europäer zurückging. Der dritte wesentliche technische Schritt nach vorn war die Entwicklung von Dampfschiffen. Fortan wurden Elfenbein und Rohgummi nach Antwerpen verschifft, und von Antwerpen wurden regelmäßig Waffen und Munition mit Schiffen in den Kongo transportiert, nach Fahrplan. Es begannen ein straff organisierter Terror unter Einsatz von Uhr, Kalender und strengen Vorschriften sowie eine systematische Plünderung der Reichtümer der Natur.
    Obwohl Leopold II. im Kongo unkontrolliert seine Macht ausübte, hat er seine Besitzung nie persönlich besucht. Mehr als jede andere Kolonie wurde der Kongo von Europa aus regiert. Der Generalgouverneur lebte in der neuen Hauptstadt des afrikanischen Landes, aber die Geschicke des Freistaats Kongo wurden von der Rue Bréderode in Brüssel aus gelenkt, von Büroräumen unmittelbar neben dem Königspalast.
    Die Boeing schwankte beträchtlich beim Landeanflug. Timo kam ein Unglück in den Sinn, das im Kongo passiert war: Bei einer Transportmaschine hatte sich im Flug die Tür geöffnet, worauf – inoffiziellen Angaben zufolge – mehr als hundert Passagiere in den Himmel hinausgesogen worden waren. Ein seltsamer Fall, der aber zum Kongo passte. Die Maschine war auf dem Weg nach Lubumbashi gewesen, einer abgelegenen Bergwerksstadt, die einst von den Belgiern erbaut worden war und wohin auch Timos Anschlussflug ging. Etwas später war auf mysteriöse Weise eine Boeing 727 vom Flughafen Luanda im Nachbarland Angola verschwunden. Man vermutete, sie sei in die Hände von Terroristen geraten.
    Es hatte den Anschein, als würde die Maschine in der Finsternis landen, aber im letzten Augenblick tauchten doch noch die Lichter einer Landebahn auf. Noch nie hatte Timo einen Flughafen gesehen, auf dem mindestens jede vierte Lampe defekt war. Die Maschine wurde heftig durchgeschüttelt, und das anschließende Ruckeln beim Ausrollen verriet einiges über den Zustand der Landebahn.
    Vor einem schwach erleuchteten Terminal blieb das Flugzeug stehen. Erst die feuchte, nach Kerosin riechende Luft, die ihm an der Tür entgegenschlug, versetzte Timo nach Afrika. Mit jedem Schritt die Gangway hinunter entfernte er sich von der Vertrautheit und Sicherheit des europäischen Flugzeuges. Der Mann mit der Maschinenpistole unten an der Gangway signalisierte Timo

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