Ewige Nacht
schon Lenin hatte vorausgesagt, der Kommunismus würde den Westen über Afrika erobern. Leider hatten das auch die kapitalistischen Imperialisten begriffen. Als der Kongo 1960 selbstständig wurde, hatte die Sowjetunion ernsthaft versucht, dort ein Bein auf die Erde zu bekommen. Sie hatte Patrice Lumumba unterstützt, der bei den ersten demokratischen Wahlen zum Präsidenten gewählt worden war. Aber die CIA hatte Lumumba ermorden lassen und den Wirrkopf Mobutu an die Spitze des Landes gebracht.
Die Wissenschaft hatte Ralf trotzdem stets mehr interessiert als die Politik. Während der Arbeit an seiner Dissertation hatte er an einem Feldlager der Universität in Nord-Kenia teilgenommen, um DNA-Proben zu sammeln. Er war in seinen molekularanthropologischen Studien rasch vorangekommen und von seinem Fach begeistert. Es hatte ihn fasziniert, immer tiefer in die Geheimnisse der Chromosomen, Mitochondrien und Gene einzudringen – und damit gleichzeitig zum Ursprung der Menschheit vorzudringen.
Er hatte von den Angehörigen mehrerer Stämme DNA-Proben genommen, überzeugt von seiner wissenschaftlichen Berufung und stolz. Eines Tages war er auf die andere Seite der Grenze gefahren, nach Äthiopien, in das Flüchtlingslager Nyeroro. Dort war er einem anderen Afrika begegnet: dem absoluten Elend, dem Gestank von Leichen, tiefster menschlicher Not.
Die Rückkehr ins Camp der Universität war ein Schock gewesen. Sein DNA-Projekt war ihm auf einmal vorgekommen wie eine nichtige, unwesentliche Spielerei.
Ralf hatte sich gefragt, auf welchem Gebiet der Wissenschaft er die Selbstachtung und die Herausforderung finden könnte, die er suchte. Es gab nur eine Alternative, denn nur ein Aspekt war der Kern von allem, wenn man in Dimensionen des Planeten und der Menschheit dachte. Also hatte er sich von der molekularen Anthropolgie verabschiedet und sich auf Forschungen zur Geburtenkontrolle spezialisiert.
Damals hatte die Firma Roodeplaats Research Laboratories in der Nähe von Pretoria Wissenschaftler vom molekularbiologischen Institut der Universität Kapstadt engagiert, dessen Verhütungsforschung auch nach internationalem Maßstab hohes Niveau besaß. Gerüchten zufolge war RRL nur eine Kulissenorganisation gewesen, finanziert vom Südafrikanischen Militärgeheimdienst, mit dem Ziel, eine »Pigmentwaffe« zu entwickeln, die sich ausschließlich gegen »pigmentierte« – schwarze – Menschen richtete, sowie eine heimlich zu verabreichende, Infertilität verursachende Impfung, die ebenfalls nur auf diese Gruppe von Menschen wirkte.
Solche Gerüchte zeigten die Verzweiflung und die Grausamkeit der Apartheidsregierung. Andererseits war Ralf von dem Gedanken einer Geburtenkontrolle durch Impfung fasziniert, denn das bot eine realistische Chance – vielleicht die einzige –, die Bevölkerungsexplosion irgendwann einmal unter Kontrolle zu bekommen.
Er hatte sich der Gruppe von Professor Meissen am molekularbiologischen Institut angeschlossen und sich der neuen Herausforderung gewidmet. Bald war man in Fachkreisen auf seine Arbeit aufmerksam geworden, und man hatte ihn am molekularbiologischen Institut der John Hopkins Universität in Baltimore willkommen geheißen, von wo er einige Jahre später zum CONRAD-Projekt nach Charlottesville gewechselt war.
Ralf hörte ein tiefes Grollen. Mit schnellen Schritten ging er zur Straße, auf der sich ein kleiner Lastwagen mit geschlossener Ladefläche dem Dorf näherte. Ralf winkte, und der Wagen hielt an. Im Fahrerhaus saßen zwei bewaffnete Männer und Ilgar, der sogleich ausstieg.
Ralf und Ilgar schauten sich in die Augen. Nach Jahren der Mühe, der Arbeit, der Risiken und Opfer standen sie endlich hier. An der Schwelle zur Erfüllung ihres Traums.
Timo versuchte, auf dem schmalen Sitz der Boeing eine bessere Position zu finden, aber das war unmöglich. Er hasste das Fliegen und fragte sich, ob bei TERA auch andere außer Wilson die Business Class nutzten, wo es wenigstens ein paar Zentimeter mehr Beinfreiheit gab. Das entscheidende Kriterium für die Reiseklasse hätte seiner Meinung nach nicht der Dienstrang, sondern die Körpergröße sein müssen. Und das Gewicht.
Auf dem Flug nach Kinshasa war die Business Class von schwarzen Männern im Anzug besetzt, an deren Handgelenken Golduhren blitzten, die garantiert nicht Marke Strand-Rolex waren. Die wohlhabend und gelassen wirkenden Männer trugen Seidenkrawatten, große Ringe und ein Verhalten zur Schau, das grenzenloses
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