Ewige Nacht
endgültig, dass er in einer Welt angekommen war, die sich komplett von der unterschied, in der er gestartet war.
Im Terminal war es heiß, die Moskitos summten, und zum ersten Mal begriff Timo, welches Risiko er eingegangen war, hierher zu kommen ohne hinreichende Malariaprophylaxe. In den halbdunklen Gängen gingen bewaffnete junge Männer unruhig umher. Ihre Kleidung verriet nicht, ob sie im Dienst der Polizei, der Armee, einer Wachfirma oder einer anderen Institution standen. Alle Menschen ringsum waren Schwarze, die wenigen Weißen aus dem Flugzeug waren nicht mehr zu sehen. Hinter dem am hellsten erleuchteten Schalter kontrollierte eine Frau mit Kopftuch die gelben Impfzeugnisse.
Am nächsten Schalter stempelte ein dicker, mürrischer Mann die Visa ab. Während er anstand, fragte sich Timo, ob das Blitzvisum von Jaggers Kontaktmann in der Botschaft etwas taugte.
Ohne ihm weitere Beachtung zu schenken, hieb der Beamte seinen Stempel darauf. Der alte Mann mit den gelben Zähnen, der die Passkontrolle vornahm, wirkte weniger gelassen, während er seine Routinefragen stellte.
Danach fing eine Zollbeamtin an, in Timos Koffer zu graben. Hinter ihr standen Männer mit Pistolen am Gürtel, die offenbar nichts zu tun hatten. Die Frau nahm das GPS-Navigationsgerät, den Schrittmesser, Kleidungsstücke, das Moskitospray, die Digitalkamera und das Satellitentelefon heraus. Letzteres unterschied sich lediglich durch die etwas größere Antenne von einem normalen Mobiltelefon.
Timo machte sich auf Fragen gefasst, aber die Frau legte alles wieder zurück. Erleichtert ging er weiter.
»Attendez, Monsieur …«, sagte plötzlich jemand hinter ihm.
Timo drehte sich um. Einer der Männer neben der Zollbeamtin war ihm gefolgt und führte ihn nun mit festem Griff in einen dunklen Nebenraum, dessen Mobiliar allein aus einer niedrigen Bank bestand. Dort musste Timo seinen Koffer ablegen.
»Aufmachen!«
Timo öffnete das Schloss. Seine schweißnassen Finger waren die einzigen hellen Flecken im Raum. Der Mann klappte den Deckel auf und wühlte aggressiv im Koffer, bis er das Navigationsgerät fand.
»Gibt es dafür eine Einfuhrgenehmigung?«
»Dafür braucht man keine Genehmigung.« Timo überlegte, welche Summe er anbieten sollte. Zehn Dollar? Oder zwanzig?
Der Mann wühlte weiter. »Diesmal kann ich wegen der fehlenden Genehmigung ein Auge zudrücken«, sagte er und pickte sich Timos Digitalkamera heraus, eine neue Minolta für 550 Euro. Ohne mit der Wimper zu zucken, ließ er sie in seiner Tasche verschwinden.
Das war der Augenblick, in dem der weiße Westeuropäer begriff, dass die gewohnten Sicherheitsnetze nicht mehr vorhanden waren. Hier waren Moralkodex, Pässe, Nationalität und Versicherungen ohne Bedeutung. Der Staat befand sich im freien Fall, und seine Bürger benahmen sich entsprechend.
Timo schloss den Koffer, ohne auf den Diebstahl zu reagieren. In Brüssel waren ihm Picards Warnungen noch übertrieben vorgekommen. Jetzt begriff er.
Er nahm den Koffer in die Hand und verließ den Raum, ohne sich umzublicken. Er fühlte sich gedemütigt und schämte sich, keinen Widerstand geleistet zu haben, aber das wäre sinnlos gewesen und hätte nur zu Schwierigkeiten geführt.
Auf dem Gang wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Wenn er sich schon auf dem Flughafen so unsicher fühlte, wie würde es dann erst draußen sein? Wenn das hier der zivilisierteste Teil des Kongo war, was hatte er dann in den abgelegeneren Gegenden zu erwarten?
Sein unruhiger Blick suchte nach Hinweisen auf die Maschine nach Lubumbashi. Zwei Monitore für abgehende Flüge waren kaputt, der dritte flimmerte. Gate zwölf.
Ein Mann in grauem, italienischem Anzug und abgenutzten Krokodillederschuhen strich um den Geldwechselschalter. Timo machte kehrt und verzog sich in eine Telefonnische, wo er einigermaßen vor Blicken geschützt war. Der Fernsprecher war kaputt, aber das interessierte ihn nicht. Er holte sein Satellitentelefon heraus und rief Heidi Klötz in Brüssel an.
»Wie ist der Kongo?«, fragte die Deutsche.
»Lässig. Irgendwelche Fortschritte?«
»Der Mann, der mit dem Stilett auf dich losgegangen ist, ist wieder bei Bewusstsein.«
Timo spürte eine Woge der Erleichterung in sich.
»Er ist verhört worden, aber er redet nicht.«
Das wird er auch nicht tun, dachte Timo. Der Mann war sicher kein Kleinkrimineller, der auf Geld aus war.
»Interessant ist, dass auf einer alten Liste mit Telefonverbindungen von Denks Haus
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