Ewige Nacht
eine Person steht, die im Herbst 1988 eine russische wissenschaftliche Exkursion anführte. Ilgar Azneft, heute wohnhaft in Cambridge, England.«
»Seltsamer Name. Aus Zentralasien?«
»Weiß ich nicht. Aber das MI5 hat eine Akte über ihn.«
»Warum das?«, fragte Timo. Der britische Inlandsnachrichtendienst MI5 war für Terrorismus und andere extremistische Elemente der Gesellschaft zuständig.
Zwei junge Männer, die ganz und gar nicht wie Reisende aussahen, kamen mit den Händen in den Hosentaschen auf Timo zugeschlendert.
»Azneft studierte Biochemie an der Universität Moskau und hat fünfzehn Jahre in Russland gearbeitet. Laut MI5 bei Biopreparat. «
Timo entwich ein spontaner Laut. Biopreparat war zu Sowjetzeiten das Aushängeschild des russischen Biowaffenprogramms gewesen. Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte die Organisation ihre Arbeit fortgesetzt, trotz allen Drucks aus den USA und aus Großbritannien. Sämtliche Geheimdienste des Westens hatten seit Jahren den Alptraum, al-Qaida oder eine andere Terrororganisation könnte Wissenschaftler von Biopreparat anheuern. Timo hatte im Frühjahr gemeinsam mit sechs TERA-Kollegen in Virginia einen zweiwöchigen Biowaffen-Kurs der CIA besucht.
»Azneft ging vor zehn Jahren nach England. Die letzten fünf Jahre war er bei einem Biotechnikunternehmen namens Neozyme . Genau genommen bei einer Handelsgenossenschaft, die Produkte entwickelt, die für die Entwicklungsländer wesentlich sind, für die aber bei den großen Pharmakonzernen das Interesse nicht ausreicht. Ilgar Azneft und seine Lebensgefährtin sind bereits in militanten, radikalökologischen Kreisen aufgetaucht, die vom MI5 observiert werden.«
Die jungen Männer blieben unweit von Timo stehen. Timo änderte seine Haltung und versuchte, das Telefon versteckt zu halten. »Und Neozyme hat Labors?«
»Natürlich.«
»Wie alt war die Liste der Verbindungen?«
»Zwei Jahre.«
»Wir brauchen aus Russland mehr Informationen über Azneft.« Timo sah auf die Uhr. »Was hat er bei Biopreparat untersucht?«
»Wir werden in Moskau niemanden finden, der irgendetwas über Biopreparat erzählt.«
»Wo ist Azneft jetzt?«
»Den Mitarbeitern von Neozyme zufolge verreist. Sie wissen nicht, wohin. Wir versuchen weiter, in Denks Unterlagen eine Verbindung zu Ilgar Azneft oder Neozyme zu finden.«
»Ich muss aufhören, meine Anschlussflug geht.«
»Ich hätte auch nichts gegen einen Urlaub im Süden.«
»Dann empfehle ich dir den Kongo. Die lokale Kultur ist stark ausgeprägt und noch nicht vom Massentourismus verdorben.«
38
Ralf blickte auf die mit einer Plane bedeckte Kiste im Scheinwerferkegel des Geländewagens. Der unerträgliche Druck in seinem Innern ließ langsam nach. Er drehte sich zu Ilgar um, der nah bei ihm stand, und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Bist du bereit?«, flüsterte Ralf.
Ilgar nickte.
Sie entfernten die Plane. Darunter kam eine stabile Kiste aus rohen Brettern zum Vorschein. Vorsichtig löste Ralf die Bretter. Gelbliche Chips, die als Polsterung gedient hatten, quollen heraus. Ilgar sammelte sie gewissenhaft ein und warf sie in einen Plastiksack.
Sie stießen auf eine zweite, kleinere Kiste, die aus gehobelten Brettern und dicken Sperrholzplatten gezimmert war. Ralf starrte sie an wie eine Reliquie. »Wer hätte im Herbst ’88 geglaubt, dass wir in weniger als einem Vierteljahrhundert Geschichte schreiben«, sagte er leise.
Ilgar antwortete nicht. Äußerlich hatte er sich kaum verändert: er war genauso dünn und zäh wie damals, in seinen dunklen Augen brannte noch immer ein unnachgiebiger Blick. Ralf war ein junger Student der Molekularbiologie an der Universität Kapstadt gewesen, und Ilgar hatte eine sowjetische Exkursion angeführt. So hatten sie sich damals kennen gelernt.
Ralfs Sympathien für die Sowjetunion und seine heftige Kritik an der südafrikanischen Apartheidsregierung waren weithin bekannt gewesen. Den Kontakt zu den russischen Wissenschaftlern hatte eine radikal gesinnte Institutssekretärin hergestellt.
Ilgar Azneft hatte erklärt, er habe sich an der Universität Moskau auf Tropenkrankheiten spezialisiert. Die westliche Pharmaindustrie konzentriere sich nur noch auf die Erforschung von Wohlstandskrankheiten, da dort Geld zu holen sei, und missachte die Basiserkrankungen, von denen die Entwicklungsländer heimgesucht wurden. Eines der Ziele der Exkursion bestand darin, ein Ebola-Opfer zu finden und ihm eine Blutprobe zu entnehmen. Aus
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