Ewige Nacht
diesem Grund war der Bumba-Gürtel eines der Reiseziele gewesen: das Zentrum der Epidemie. Seltsam, hatte Ralf damals gedacht, Ebola ist ja eher eine seltene Tropenkrankheit. Warum nahm Azneft sich nicht die viel stärker verbreiteten Krankheiten vor, um hiergegen Medikamente zu entwickeln? Ralf hatte jedoch bald einen Verdacht über die wahren Absichten der Exkursion, obwohl damals in der Öffentlichkeit noch nicht groß von Biowaffen die Rede gewesen war.
Man hatte Ralf zu der Zeit absolutes Stillschweigen abverlangt, da »sich mit Ebola ein gewaltiger Aberglaube« verbinde und die Russen keine Aufmerksamkeit erregen wollten. Ralf hatte sein Bestes getan, um den Befreiern Afrikas, die er so bewunderte, gerecht zu werden. Die Exkursion wurde ein Erfolg, und Ilgars Gruppe hatte mit mehreren Präparaten nach Moskau zurückkehren können, darunter auch die Blutprobe eines Ebola-Patienten.
Jahre vergingen, ehe Ralf erneut auf Ilgar stieß. Das war im Pariser Sheraton Hotel, während einer internationalen Konferenz. Ralf hatte dort über die Resultate des CONRAD-Verhütungsprojektes berichtet. Ilgar wiederum hatte Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlassen, war nach England gegangen und schließlich in Cambridge Anteilseigner von Neozyme geworden. Die genossenschaftlich organisierte Einrichtung arbeitete nach ethischen Prinzipien und hatte sich auf jene Teilgebiete der Pharmaindustrie spezialisiert, um die sich die Großkonzerne und die mit ihnen verbundenen Forschungsprojekte der Universitäten nicht sonderlich kümmerten.
Ralf und Ilgar hatten sich lange über ihre Zeit in Afrika unterhalten, ohne dass Ralf seinen Verdacht über Ilgars Biowaffen-Hintergrund geäußert hätte. Ilgar selbst hielt nämlich an seiner alten Version von der Universität Moskau und den tropischen Krankheiten fest. Es war auch nicht von Bedeutung, ob Ilgar log oder nicht, das Wichtigste war, dass er aufgrund seiner jetzigen Tätigkeit Enzyme kannte, die Ralf dringend bei CONRAD brauchte.
Bald nach ihrem Gespräch hatte sich jedoch herausgestellt, dass Ilgar sich auf einem noch interessanteren Sektor auskannte: in der Aerosoltechnik.
In verschiedenen Ländern der Welt waren umfassende Forschungen über Impfungen mittels Aerosol im Gange. Mittels eines Nasensprays zum Beispiel konnte man schnell, schmerzlos und steril impfen, was bei Massenimpfungen in Entwicklungsländern äußerst wichtig war. Zu den meisten HIV-Infektionen in Afrika, vor allem bei Kindern, kam es durch schmutzige Nadeln. Ralf interessierte sich für die Aerosoltechnik, weil man sie auch beim Einsatz von Verhütungsimpfungen einsetzen konnte.
»Die Aerosolvakzination ist ein klassisches Beispiel für eine Methode, bei der sich militärische und zivile Forschung noch nicht begegnet sind«, sagte Ilgar im Restaurant des Kongresshotels. »Es ist erstaunlich, dass Aerosol in der Zivilanwendung individuell verabre icht wird, genau wie bei traditionellen Vakzinationsmethoden. Es wäre wesentlich effektiver, zehn oder hundert Patienten gleichzeitig eine Impfung zu verabreichen.«
»Man könnte die Leute, die geimpft werden sollen, in einem großen Zelt zusammenkommen lassen«, sagte Ralf begeistert. Er wusste aus Erfahrung, wie schwierig es war, ordentliche Voraussetzungen für Impfungen zu schaffen. »Im Nu könnte man Dutzende von Menschen steril vakzinieren.«
»Ein Zelt ist nicht nötig. Man kann das Impfaerosol über einem beliebigen Dorf versprühen.«
»Wie bei einem Biowaffenangriff?«, konnte sich Ralf nicht verkneifen zu fragen.
Ilgars Blick wurde schärfer. »Exakt.«
Stille machte sich zwischen ihnen breit, die Ilgar mit kühler, nüchterner Stimme durchbrach. »Du weißt bestimmt schon, dass ich dich während der Exkursion angelogen habe. Ich hatte nichts mit tropischer Medizin und auch nichts mit der Universität Moskau zu tun. Die ersten fünfzehn Jahre meiner Laufbahn habe ich in der Nähe von Nowosibirsk an der Entwicklung biologischer Waffen mitgearbeitet.«
»Was ist mit den Ebola-Proben passiert, die ihr aus Afrika mitgebracht habt?«
»Du willst das doch nicht hören. Du hast dich verändert. Wo ist deine Kritik am Westen geblieben? Ich hätte nicht geglaubt, dass du aus Afrika weggehst. Du schienst dort dauerhaft verwurzelt zu sein.«
»Ich bin nach wie vor Afrikaner. Aber am besten kann ich Afrika und dem ganzen Planeten dort helfen, wo ich jetzt bin.«
Ilgar lächelte melancholisch mit seinen dunklen Augen. »Ich dachte auch als
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