Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
Vom Netzwerk:
Höhlenraum blicken konnte, der nach oben so spitz zulief wie eine gotische Kathedrale. Im vorderen Teil befand sich ein großer Stein mit platter Oberseite, wie ein Altar, daneben stand eine Holzkiste. Zwei Männer hantierten mit der Kiste, einer von ihnen war Ralf Denk. An der Wand lehnte eine Maschinenpistole.
    Auf die Oberseite des flachen Steins war ein schwarzes Kreuz gemalt worden. Dort also war der Schnittpunkt der Koordinaten.
    Und die Holzkiste enthielt das, wonach die Sicherheitsbehörden der Welt derzeit am dringendsten suchten.
    Timo zog sich zurück und flüsterte Noora ins Ohr: »Geh zu ihnen. Nimm die Maschinenpistole, die an der Wand lehnt, und bring sie hierher.«
    »Du spinnst. Ich …«
    »Es gibt keine andere Möglichkeit. Wir haben keine. Haben sie weitere Waffen?«
    »Ja. Eine zweite Maschinenpistole. Aber ich weiß nicht, wo sie ist.«
    »Geh!«
    Noora ging los, nicht mehr schleichend, sondern absichtlich geräuschvoll, damit sie von den Männern bemerkt wurde.
    »Ich bin’s«, sagte sie zu Ralf und Agar.
    Ilgar richtete sich abrupt auf. »Wo warst du?«, fragte er wütend.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte Noora.
    Ralf kam mit forschender Miene auf sie zu. »Worüber?«
    »Über das alles.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Nichts. Ich werde ja wohl auch mal nervös sein dürfen. Ihr seid es schließlich auch.«
    Die Männer sahen sich an und setzten mit dem Rücken zu Noora ihre Arbeit an der Kiste fort.
    Timo sah, wie Noora sich der Maschinenpistole näherte. Er knirschte mit den Zähnen vor Angst, die Männer könnten merken, was sie vorhatte.
     
    Ralf bog das letzte Brett der Schutzkiste zur Seite. Vor ihm stand ein schwarzes Gehäuse aus Metall.
    »Ich habe Angst«, sagte Ilgar leise, während er auf die Ladung starrte.
    Ralf legte den Hammer aus der Hand und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
    »Das ist gesund«, flüsterte er.
    Die Nähe der Ladung sorgte dafür, dass sich unendliche Ruhe und Zufriedenheit in ihm ausbreiteten. Die letzten Reste von Angst und Ungewissheit waren verflogen. Ralf wusste, das er richtig handelte. Vor langer Zeit schon hatte er begriffen, dass das Wohlergehen des Menschen und der Umwelt in direkter Relation zur Größe der Erdbevölkerung stand. Seine früheren Kollegen bei CONRAD und andere Leute, die sich um das Schicksal der Erde Sorgen machten, sahen in der Zahl der Erdenbewohner ebenfalls den Kern der Sache. Aber das stimmte nicht.
    Die wichtigste Frage lautete nicht mehr, was man tun konnte, um den Planeten für die folgenden Generationen zu retten. Die entscheidende Frage war, warum es überhaupt eine folgende Generation geben sollte.
    Warum dachte niemand über diese Frage nach? Weil sich der Mensch wie das primitivste Bakterium verhielt. Seid fruchtbar und mehret euch. Das Fabrizieren von Nachkommen war ein genetisch einprogrammierter Befehl und keine Frage des Verstandes. Die Menschen waren so lange Sklaven der chemischen Reaktionen von Zellmembranen, bis sie die Entscheidung darüber aus dem Urschlamm der Proteine und Enzyme herausholten und auf die Ebene des Bewusstseins brachten. Erst dann, unabhängig von der fleischlichen Hülle, würde sich unweigerlich die Frage auftun: Wie lange sollte es Menschen auf der Erde geben?
    Ralf legte den Hammer auf die Steinplatte. Da hörte er ein Geräusch. Er blickte sich um und sah Noora außerhalb des Lichtkreises der Lampen. Sie stand an dem Eingang zum Höhlensaal – und reichte einer großen Gestalt die Maschinenpistole.
    Ralf stand da wie paralysiert. Das erste Mal während der gesamten Operation verspürte er Angst und Enttäuschung. Noora hatte ihn verraten. Und hatte die Führerin ihre Aufgabe nicht erfüllt? Was hatte Noora von Nortamo erfahren?
    »Keine Bewegung!«, brüllte Timo. Seine Stimme hallte kurz von den Wänden wider, erstarb aber sogleich. »Hände in den Nacken! Näher zusammen!«
     
    Ralfs Waffe lehnte zwei Meter entfernt an dem Stein mit der flachen Oberseite. Noora und Timo konnten sie nicht sehen. Ralf blickte auf und bewegte sich langsam auf die Maschinenpistole zu. Agar hob die Hände.
    »Näher zusammen!«
    »Wir haben deinen Sohn in Brüssel in unserer Gewalt«, sagte Ralf.
    »Du lügst«, zischte Timo.
    »Rue Washington 81. Wenn du uns aufhältst, stirbt er sofort.«
    Ralf war sicher, der Finne würde schießen, aber das war ihm egal, er bewegte sich immer weiter auf seine Waffe zu. Wieder herrschte in seinem Innern tiefster Friede. Die Ladung war am Ziel und würde

Weitere Kostenlose Bücher