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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Afrika, Asien, Europa und andernorts fest. In einigen Regionen liegt die Geburtenrate bei null. Die Experten sind verwirrt. Wegen des Besorgnis erregenden Phänomens werden wissenschaftliche Konferenzen veranstaltet und umfassende Untersuchungen in die Wege geleitet.«
    Ralf legte die zweite Mutter auf den Boden und setzte den Schraubenschlüssel an der nächsten an. » Jahr zwei. Der Einbruch der Natalität dominiert weltweit die Medien und den Alltag der Menschen. Panik macht sich breit. In manchen Gegenden ist seit einem Jahr kein Kind mehr auf die Welt gekommen. Auf den Finanzmärkten wächst weltweit die Unruhe. Die Kurse fallen.«
    Er legte die dritte Mutter auf den Boden und beschleunigte das Arbeitstempo. »Fünf Jahre später befindet sich die Weltwirtschaft in der schlimmsten Rezession ihrer Geschichte. Neuinvestitionen werden nicht mehr vorgenommen. Riesige internationale Forschungsprojekte zur Heilung der Unfruchtbarkeit werden geschaffen. Den Wissenschaftlern werden alle Ressourcen zur Verfügung gestellt, die sie brauchen. Die Militäretats werden gesenkt. Aber das Unfruchtbarkeitsvirus hat sich auf die gesamte Population ausgebreitet. Neugeborenenstationen werden in geriatrische Abteilungen umfunktioniert.«
    Ralfs Stimme wurde weicher, während er zur nächsten Mutter überging. »Zehn Jahre später befindet sich die Menschheit in einer irreparablen Krise. Die Rezession hat die Weltwirtschaft zum Erliegen gebracht. Nur die Lebensmittelindustrie funktioniert noch. Alternde Wissenschaftler bilden eine Generation der begabtesten Studenten aus, in der Hoffnung, diese könnten die Ursache für das Problem finden.«
    Ralf richtete sich auf und sah Timo und Noora mit starrem Blick an. »Aber sie werden scheitern«, flüsterte er. »Die Natur hat den Menschen besiegt. Der Mensch geht zugrunde, die Erde lebt.«
     
    48
     
    Tobias steckte das Telefon ein und ließ den Wagen an. Ilgar hatte ihn mit dem Satellitentelefon aus dem Kongo angerufen. Er war aufgeregt gewesen. Der Junge sollte unverzüglich geschnappt werden.
    In der Rue Washington war es mit Anbruch des Abends still geworden. Tobias ließ den Wagen vor das Haus mit der Nummer 81 rollen und hielt an.
    Er musste schnell und geschickt handeln.
     
    Zum zehnten Mal überprüfte Aaro, ob der Zettel mit der Autonummer des Dethleff-Wohnmobils und den Angaben zum Besitzer noch in seiner Hosentasche steckte. Wo blieben sie denn? Reija sah auf die Uhr und stand vom Sofa auf. »He, wir müssen uns beeilen. Zieh dir schnell was anderes an.«
    Aaro seufzte. »Jetzt hör doch mal auf. Ich will heute Abend nirgendwo hingehen. Außerdem muss man sich fürs Kino nicht umziehen.«
    »Du vielleicht nicht, aber ich schon.«
    Für Klamotten interessierte Aaro sich ebenso wenig wie sein Vater. Sie waren ein notwendiges Übel, und Neuanschaffungen mussten mit allen Tricks verhindert werden. Aaro ersetzte seine Hosen erst dann, wenn die alten zu kurz waren; sein Vater besorgte sich neue, wenn die Bundweiten nicht mehr mitspielten.
    »Wie lange brauchen wir bis zum Toison d’Or?«, fragte Reija.
    »Eine halbe Stunde. Kommt auf die Straßenbahn an.«
    »Warum nehmen wir nicht das Auto?«
    »Das Auto?«
    »Was ist daran so erstaunlich? Du kennst den Weg, und ich kann fahren.«
    Es läutete an der Tür. Endlich!
    »Ich mach auf«, sagte Aaro schnell und rannte zum Türöffner.
    »Wer ist das?«
    »Ein Kollege von meinem Vater«, sagte Aaro stolz. »Wir haben was unter vier Augen zu besprechen.«
    »Was laberst du da? Wir kommen zu spät ins Kino …«
    »Gehen wir eben in die spätere Vorstellung. Es ist wichtig.«
    Es klopfte an der Wohnungstür. Aaro beeilte sich, aufzumachen. »Guten Abend«, sagte er höflich und streckte die Hand aus. »Aaro Nortamo.«
    Der Mann wirkte irritiert und gab Aaro unsicher die Hand. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber Aaro grinste ihn wie einen Komplizen an und gab ihm ein Zeichen mit der Hand, still zu sein.
    Aaro schnappte sich seinen Anorak vom Kleiderhaken. »Reija, ich fahre mit Papas Kollegen ins Büro«, rief er auf Finnisch.
    Der Mann blickte erschrocken zur Tür, in der Reija erschienen war.
    »Das ist unser Au-pair-Mädchen. Gehen wir.« Aaro fand, dass der Mann einen merkwürdig nervösen Eindruck machte. Aber wenn die Lage nun einmal so ernst war, dann war das wohl ganz natürlich.
    Schließlich schien sich der Mann trotz aller Verwirrung zusammenzunehmen. Er machte die Tür auf und führte Aaro mit überraschend festem

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