Ewige Nacht
Nacht für den Menschen, aber nicht für die Erde. Sie würde wieder erwachen, an einem neuen Morgen, wenn Licht auf unsere von frischem Grün überwucherten Monumente fiele. Die Sinfonien, Gedichte und Fresken der letzten Generationen würden als ewige Denkmäler auf ihre Entdecker warten.
»Vorsicht, er hat eine Waffe!«, rief Noora plötzlich, sprang auf Ralf zu und griff nach der Maschinenpistole.
Doch auch Ralf griff danach und packte Noora.
»Lass los!«, rief Timo.
Noora rang mit Ralf, und wie durch ein Wunder gelang es ihr, ihm die Waffe zu entwenden.
Timo atmete kurz auf. Jetzt war er wieder am Zug. Noora hielt die Waffe auf Ralf gerichtet. »Habt ihr meinen Jungen?«, fragte er.
»Unser Mann wartet in Brüssel nur noch auf mein Kommando.«
Timo wusste nicht, ob er ihm glauben sollte. »Es ist vorbei«, sagte er. »Euer Ebola wird keinem Menschen etwas zuleide tun.«
»Ach nein?«
»NICHT!«, schrie plötzlich Ilgar.
Timos Blick ging von Ilgar zu Ralf. Der hatte einen Füller aus seiner Brusttasche gerissen und warf ihn blitzschnell in Timos Richtung. Instinktiv schützte Timo das Gesicht mit dem linken Arm und spürte im selben Moment einen Stich in seinem kleinen Finger, bevor der Füller zu Boden fiel.
Timo sah Nooras angstgeweitete Augen. Dann schaute er auf seinen Finger, an dem sich eine kleine Blutperle bildete.
Die vollkommene Stille wurde von einem animalischen Schrei zerrissen. Erst als er Nooras kreidebleiches Gesicht vor sich sah, begriff er, dass dieser Schrei über ihre blassen Lippen gekommen war.
»Dein Finger …«, rief sie panisch, packte Timos Hand und drückte sie auf die Steinplatte. Im selben Augenblick sah Timo in Nooras Hand eine Messerklinge aufblitzen.
Er kam nicht dazu, Schmerz zu verspüren, dann sah er seinen kleinen Finger auf der Steinplatte liegen. Er kniff die Augen zusammen und glaubte, in Ohnmacht zu fallen. Seit dem Stich waren keine drei Sekunden vergangen.
Noora war mindestens ebenso bleich wie er.
»Ebola«, flüsterte sie.
»Los, abbinden«, befahl Ralf, schnappte sich die Maschinenpistole und richtete sie auf Timo und Noora.
»Atme tief durch.« Noora zog einen Strumpf aus und band ihn fest um Timos Fingerstumpf.
»War ich schnell genug?«, fragte Noora.
»Es hätte geholfen, wenn in der Spritze ein Virus gewesen wäre«, antwortete Ralf und lachte bitter. »Du glaubst doch nicht, dass ich zum Spaß ein tödliches Virus in meiner Brusttasche durch die Gegend trage? Ilgar, fessle die beiden!«
Timo sah Nooras Entsetzen.
»Schon gut«, stammelte er. »Du konntest ja nicht wissen …«
Ralfs Anschlag war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen – jetzt hatte er wieder die Oberhand.
»Geh raus und ruf Tobias an. Sag ihm, er soll sich den Jungen schnappen«, sagte Ralf zu Ilgar.
Timo schloss ächzend die Augen. Er versuchte, sich zu sammeln, versuchte, nicht an Aaro zu denken und nicht an den kleinen Finger auf dem Stein und an den blutigen Verband. »Unsere Leute werden bald hier sein«, sagte er heiser. »Wir wissen Bescheid über euer Ethno-Virus. Es hat keinen Sinn mehr …«
»Ethno-Virus?« Ralf klang ehrlich überrascht. »Wovon redest du?«
»Wir wissen Bescheid über Grib und eure Ebola-Variante«, Timo gab sich so sicher wie möglich. Ein scharfer Schmerz pulsierte in seinem Fingerstumpf.
»Was wir vorhaben, hat nichts mit Ilgars Ethno-Virus zu tun.«
»Ach nein?«, zischte Timo durch die zusammengebissenen Zähne. »Was wollt ihr sonst mit eurer Bombe?«
Ralf wirkte beleidigt und irritiert. »Ihr haltet uns tatsächlich für fanatische Idioten, die bereit sind, unschuldige Menschen abzuschlachten … Welchen Sinn hätte es denn, Ebola zu verbreiten?«, sagte er so leise, dass ihn Timo kaum noch verstand. »Man muss zu konsequenteren Maßnahmen greifen.«
Der Verband um Timos Fingerstumpf fühlte sich feucht an. Sie hatten ihm und Noora, die neben ihm auf dem Boden der Kirche saß, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Der Schmerz in seinem Finger ging in einem noch größeren Schmerz unter: Was hatten diese Wahnsinnigen mit Aaro vor?
Timo starrte auf das Gehäuse, an dem Ralf nun begann die Muttern zu lösen.
»Was hat er gemeint?«, fragte Timo Noora flüsternd auf Finnisch. »Was haben sie …«
»Ruhe!«, schnauzte ihn Ralf an und legte die erste Mutter auf den Boden. »Jahr eins«, sagte er jetzt mit ruhigerer Stimme und löste die zweite Mutter. »Wissenschaftler stellen einen unerklärlichen Geburtenrückgang in
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