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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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explodieren, das war die Hauptsache. Sein eigenes Schicksal hatte keine Bedeutung mehr. Die Fossilien in den Höhlenwänden bewiesen, dass jede Spezies eine bestimmte Lebensdauer hatte, und für die Individuen jeder Spezies galt das Gleiche. Auch die Zeit des Homo sapiens war irgendwann abgelaufen, das war eine evolutionäre Unumgänglichkeit.
    »Bleib, wo du bist!«, brüllte Timo und hielt die Maschinenpistole noch fester umklammert. »Haben sie Aaro?«, fragte er Noora.
    »Ich weiß es nicht.«
    Ralf wusste, dass seine Waffe nur einen halben Meter hinter ihm stand. Die letzten Zentimeter bewegte er sich wie im Traum, mit Hilfe seiner Willenskraft, im Bewusstsein seiner Überzeugung. Wenn man es der Natur überlässt, die Lebensdauer der menschlichen Spezies zu bestimmen, wird das Ende bitter und trostlos ausfallen: genetischer Verfall, weltweite Epidemien, ein Meteorid, Klimaveränderung. Nur eine einzige Spezies war fähig, durch ihren Willen auf ihr Schicksal Einfluss zu nehmen. Alle anderen begegneten ihrem Ende wie Vermehrungsapparate ohne Bewusstsein. Ein würdiges Ende herbeizuführen, aufgrund eigener Entscheidung und nicht durch Unausweichlichkeit, das war der endgültige Sieg des menschlichen Geistes über das Wesen des Tieres, die absolute Befreiung von der Macht der Gene. Keine andere Art von Organismus war bereit, sich freiwillig selbst auszurotten.
    Das Geräusch eines Schusses betäubte Ralfs Ohren. Die Kugel prallte in zwei Metern Entfernung von der Wand ab. Ein Warnschuss.
    »Legt euch auf den Bauch, die Hände in den Nacken!«, rief der Finne.
    Doch Ralf ging weiter auf seine Waffe zu. In seinem Bewusstsein entsprach ein Wimpernschlag einer Ewigkeit, Millionen Jahren, in denen die Erde ihre Gestalt geändert und schließlich den Menschen hervorgebracht hatte. Nur der Mensch konnte Verantwortung dafür empfinden, dass er den einzigen bekannten Ort des Universums genießen durfte, an dem die physikalischen Voraussetzungen für die Entwicklung intelligenten Lebens gegeben waren. Würde der Mensch den Planeten noch rechtzeitig verlassen, damit dieser sich von seinem Peiniger erholen konnte, entwickelte sich womöglich erneut intelligentes Leben.
    Wie schon Giordano Bruno in ›De la causa, principio et uno‹ schrieb: »Der gesamte Erdball, dieser Himmelskörper, meidet Tod und Untergang, wenn er sich von Zeit zu Zeit erneuert, indem er all seine Bestandteile verändert und austauscht.«
    Wenn die Individuen einer neuen Spezies irgendwann die vom Menschen geschaffene Kultur ausgrüben, begriffen sie, dass der Homo sapiens seiner Ära auf dem Planeten selbst ein Ende gesetzt hatte, damit ein neues Zeitalter beginnen konnte. Sie würden das als die erhabenste und edelste aller Taten begreifen: als göttliches Werk.
    »Bleib, wo du bist!«, rief Timo wütend und ging auf Ralf zu.
    Endlich spürte Ralf, wie sein Fuß die Maschinenpistole, die an dem Stein lehnte, berührte.
    »Ralf, tu, was er sagt!«, sagte Noora mit zitternder Stimme.
    Mit vorgehaltener Waffe ging Timo immer weiter auf den Deutschen zu und sah ihm dabei in die Augen. Ralf kam das alles völlig unwirklich vor. Er war bekümmert und entschlossen zugleich. Wenn der Mensch für immer verschwände, ließe er vieles unvollkommen. Vielleicht wäre er irgendwann seinem eigenen Ursprung auf die Spur gekommen, vielleicht hätte er irgendwann im Weltall Leben entdeckt. Es war schade, die menschliche Spezies vorher auszulöschen. Aber auch wenn es eine faszinierende Vorstellung war, Kontakt zu fremdem, intelligentem Leben aufzunehmen, würde die Menschheit nach ihrem Tod einen besseren Eindruck machen. Dann würden die fremden Wesen nämlich den Menschen als legendäre Spezies kennen lernen, die in der Lage gewesen war, alles zu beenden, weil es für die Erde das Beste war.
    Ralf spannte die Muskeln an. Er machte sich bereit, nach der Waffe zu greifen. Er hätte gern teilgehabt an der unfassbar traurigen und großartigen Stimmung, an der moralischen Verzückung, die unter den letzten Menschen in der Abenddämmerung der letzten Jahre herrschen würde. Alle wären dann alt, hätten ihr Leben gelebt, es gäbe keine Kinder und keine Jugendlichen mehr, keine Bitterkeit über eine verlorene Zukunft. Niemand würde sich mehr an irgendetwas bereichern. Es würden die edelsten Stunden der Menschheit sein, wenn die Lichter der Städte eines nach dem anderen friedlich erloschen, wenn die Kraftwerke still stünden, wenn die Dunkelheit sich herabsenkte.
    Ewige

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