Ewige Nacht
hier vertreten, deren Schilder schon von weitem zu lesen waren: Interpol, Europol, Trevi, CIA/FBI, MI5/SIS, BfV/BND … Nur die Nachrichten-, Sicherheits-und Polizeiorganisationen der größten Länder hatten einen eigenen Tisch. Timo drehte eine kurze Runde, um sich die neuesten Informationen zu beschaffen.
TERA verfügte nicht über Festnahmebefugnis, auch bei anderen Dingen musste sie sich auf die Hilfe der nationalen Organisationen in den Mitgliedsstaaten verlassen. Bei den anspruchsvollsten Operationen bediente sie sich der britischen SAS oder der deutschen GSG-9. Bei den geheimsten Sonderoperationen verließ sie sich auf die einzige wirklich geheime Spezialeinheit, auf die Action commando des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE, die unter anderem das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior versenkt hatte.
Wesentlich Neues gab es nicht, darum fuhr Timo mit dem Aufzug in den zweiten Stock zurück und klopfte an die Tür von Heidi Klötz.
»Hast du einen Augenblick Zeit?«, fragte Timo, während er ungebeten eintrat.
»Kommt darauf an, in welcher Angelegenheit du kommst«, sagte Heidi Klötz, ohne vom Computer aufzublicken. Sie wirkte müde und konzentriert. Nichts verriet, dass sie am selben Tag um ein Haar ihr Leben verloren hätte.
»Ein schwerer Tag«, sagte Timo.
Heidi Klötz blickte noch immer nicht auf. »Ich schreibe an einem Bericht. Was gibt’s? Etwas Neues aus Sankt Petersburg, hoffe ich.«
»Noch nicht. War Theo Denk in einer Verfassung, die ihm erlaubt hätte, bei Aktionen der G1 mitzumachen?«
Jetzt sah Heidi Klötz auf – mit einem traurigen und beklommenen Blick. »Er war krank. Aber es sah aus, als würde sein Leben eher vom Glauben als vom Kampf gegen die Globalisierung beherrscht. Er hatte sein Zimmer mit Bildern von Heiligen tapeziert. Und sein Verhältnis zur Religion war vermutlich nicht ganz unproblematisch: In der Ecke lag eine durchbohrte Voodoo-Puppe, die den Papst darstellte.«
»Wie komme ich am schnellsten an Informationen über die G1 und Ralf Denk?«
»An deiner Stelle würde ich erst mal auf der russischen Seite Druck machen. Hast du schon mit Van Dijck gesprochen?«
Timo schüttelte den Kopf. Van Dijck war von der holländischen Zentralkriminalpolizei gekommen und gehörte zu den al-Qaida-Experten der TERA. Verständlicherweise war er besorgt, denn Bin Laden versuchte bereits seit Anfang der 90er Jahre, an eine Atomwaffe heranzukommen. Im Zuge der Taliban-Operation in Afghanistan hatten Amerikaner und Briten Material gefunden, das auf den Plan von al-Qaida hinwies, eine schmutzige Bombe in einem großen amerikanischen Ballungszentrum hochgehen zu lassen. Diese Leute würden nicht einmal davor zurückschrecken, einen Kernsprengsatz zu zünden.
»Van Dijck hält um Mitternacht ein Briefing. O’Brien kommt auch … Und morgen früh die ersten Vertreter vom NSWG. Die Amerikaner scharren schon mit den Hufen. Auch die anderen werden ungeduldig, wir dürfen das hier nicht vergeigen.«
»Danke für den Tipp.« Timo versuchte sich so gut zu beherrschen, wie es die Müdigkeit zuließ. »Ich weiß, dass eine Gruppierung wie die G1 nicht …«
»Der Angriff auf dich und deinen Sohn auf dem Schiff ist bedauerlich.« Ihr Ton war eisig. »Aber sieh zu, dass deine persönlichen Gefühle keine Auswirkungen auf deine Arbeit haben. So halte ich es auch.«
Wieder so eine unnötige Bemerkung, dachte Timo beim Blick ins Gesicht der kühlen Deutschen.
Heidi Klötz schrieb etwas auf einen Zettel und reichte ihn Timo.
Er warf einen Blick darauf und las eine Archivnummer. »Danke«, brummte er und verschwand.
In seinem Zimmer angelangt, versuchte er, Mitarbeiter des FSB in Moskau zu erreichen, obwohl er wusste, dass es um diese Zeit sinnlos war. Anschließend schrieb er sein Passwort in den Computer: I KARUS .
›Der Sturz des Ikarus‹ war Timos Lieblingsbild aus Bruegels Werk. Es zeigte perfekt, was Gemütsruhe und gesunder Zynismus waren: Auf dem Gemälde pflügte ein Landmann in aller Ruhe seinen Acker, und ein Schafhirte passte auf seine Lämmer auf, während im Hintergrund Ikarus – nachdem er zu dicht an die Sonne herangeflogen war und sich die Flügel verbrannt hatte – ins Meer stürzte, ohne dass jemand dem Vorfall Beachtung schenkte. Das Leben ging weiter.
Timo gab die Standortchiffre, die er von Heidi Klötz bekommen hatte, in die Archivdatenbank von TERA ein. Auf dem Bildschirm erschien ein kurzer, stichwortartiger Text mit der Überschrift Denk, Ralf. Darunter stand:
Weitere Kostenlose Bücher