Ewige Nacht
auf. Normalerweise vertrat Wilson gegenüber den Amerikanern die Rolle des kleinen Bruders gegenüber seinem oberschlauen, überbesorgten großen Bruder, aber jetzt lag echte Dankbarkeit in seiner Stimme. Die Nuclear Smuggling Working Group war eigens zur Verhinderung von Atomschmuggel gegründet worden und direkt dem Sicherheitsrat des Weißen Hauses unterstellt. Sie bestand aus einschlägigen Spezialisten, die unter anderem aus dem Zentralnachrichtendienst, aus dem Nachrichtendienst der Armee, von der Polizei der Bundesstaaten, vom Außen-und vom Energieministerium gestellt wurden.
Aufgeregt und angespannt verließ Timo den Raum. Die Lage schien ganz und gar einem Szenario aus den Berichten der Sicherheitsdienste zu entsprechen. Offenbar war die Kernladung nicht aus einem Bunker in der taktischen Zone gestohlen worden, vielmehr waren Mitglieder des innersten Zirkels am Werk gewesen. Genau das hatte man immer für die größte Gefahr gehalten. Zumal es so gut wie keine Mittel gab, das zu verhindern.
Für Timo und die TERA war es allerdings nicht entscheidend, wie das Zeug in falsche Hände geraten war. Vielmehr kam es jetzt darauf an, den Sprengsatz zu finden und zu entschärfen, bevor er eingesetzt wurde. Jahrelang hatte man sich auf diese Situation vorbereitet, man hatte gewusst, dass sie früher oder später eintreten würde, dennoch verspürte Timo jetzt lähmende Ratlosigkeit und Angst.
Über dem Vatikan glänzte eine scharfe Mondsichel. In dem fahlen Licht sah die Kuppel des Petersdomes überirdisch aus, schön und in ihrer Massivität zugleich bedrohlich.
Papst Clemens XV. lag im asketischen Schlafzimmer seiner Dienstwohnung im Bett. Er wirkte blass, aber Doktor Montanelli hatte den Eindruck, als sei sein Patient eher erschüttert als krank.
Der grauhaarige Gianluca Montanelli, der aussah wie ein Ex-Gigolo, nahm die Manschette des Blutdruckmessgerätes ab und sah sich wieder die Einstichstelle am Arm des Papstes an.
»Ich muss noch einmal fragen, ob Ihr eine Vorstellung davon habt …«
»Nein.«
Das Wort kam mit leiser, eisiger Absolutheit über die halb geöffneten Lippen.
Montanelli strich sich über sein gewelltes Haar und verstaute das Blutdruckmessgerät in seiner Tasche.
»Wir werden ein paar Proben nehmen müssen.«
Er war auf Widerstand vorbereitet, aber der Heilige Vater lag nur still da und starrte an die Decke. Montanelli beschloss, die Situation zu nutzen, und fragte: »Seid Ihr sicher, dass Ihr keine Nachforschungen bei den Besuchern …«
»Das bin ich. Bitte nehmen Sie Ihre Proben. Ich möchte ruhen.«
Clemens XV. schloss die Augen. Montanelli nahm seine Tasche und ging ins Nebenzimmer, wo drei Sekretäre des Papstes in schwarzer Kleidung schockiert und unendlich neugierig warteten, auch wenn sie es hinter ihren ausdruckslosen Gesichtern zu verbergen suchten.
»Doktor Montanelli«, begann der älteste von ihnen.
»Nicht jetzt, Pater Allessandro«, sagte Montanelli unwirsch und ging weiter ins nächste Zimmer, zu einer Gruppe von sechs Krankenpflegern.
»Blut-und Urinproben«, befahl Montanelli und setzte seinen Weg zum Zimmer des päpstlichen Privatsekretärs fort. Dort saßen drei Männer. Nervös und erwartungsvoll drehten sie sich zu Montanelli um.
»Er lehnt es ab, den Vorfall untersuchen zu lassen«, sagte der Arzt.
Kardinal Ruggiero, der Chef des päpstlichen Beamtenapparats, schüttelte leise den Kopf. Nach dem Papst war er der einflussreichste Mann im Vatikan.
»Wir sind gezwungen zu handeln«, sagte der aus Amerika stammende Kardinal D’Azeglio, der das Vigilanza-Komitee leitete. Der Vatikan hatte zum Millennium ein Aufleben von terroristischen und kultischen Aktivitäten befürchtet und sich dagegen mit der Gründung eines Komitees namens Vigilanza gewappnet, das die Sicherheitsoperationen des Vatikans koordinierte.
Auf dem Tisch vor den Männern lag Asche von verbranntem Papier. Man hatte sie in dem Raum gefunden, in dem der Papst seine Gäste empfangen hatte. Clemens XV. hatte Schriftstücke verbrannt. Warum?
»Dieser Fall ist außergewöhnlich«, fuhr D’Azeglio fort. »Wir sollten in den Ermittlungen mutig voranschreiten. Die Besucher müssen gefasst werden, dazu sollten wir umgehend Kontakt zur Lanza aufnehmen.«
In der Via Lanza befand sich der Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Democratica , der italienische Geheim-und Sicherheitsdienst SISD, der mit dem Vatikan zusammenarbeitete.
»Dann besteht die Gefahr, dass Informationen über den
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