Ewige Nacht
gewollt hätten. Die Strahlung von 10–50 Millicurie war für die Moskauer nicht gefährlich gewesen, doch bei einer Explosion wären weite Gebiete der Stadt unbewohnbar geworden.
An radioaktivem Rohstoff herrschte in Russland kein Mangel. Allein in Tscheljabinsk-65, einem der größten russischen Komplexe zur Herstellung von Atomwaffen, wurden dreißig Tonnen angereichertes Uran aufbewahrt – ohne Kameras mit Bewegungsmeldern, ohne Augenhintergrunderkennung, einfach hinter Schloss und Riegel. Zuletzt wären im Jahr 2002 fast zwanzig Kilo der dreißig Tonnen abhanden gekommen. Nur durch Zufall war der Plan von drei Mitarbeitern der Institution aufgedeckt worden. Damals war auch TERA informiert worden. Im Vergleich zu früheren Jahren gab es also zumindest Fortschritte in der Kommunikation.
Eine Ahnung von der Wirkung einer schmutzigen Bombe vermittelte ein Unglück, zu dem es 1986 im brasilianischen Goiânia gekommen war und mit dem sich Timo bei seiner Schulung beschäftigt hatte. Diebe waren in eine verlassene Klinik für Strahlenbehandlung eingedrungen und hatten eine Cäsium-137-Quelle gestohlen, ohne zu wissen, wie gefährlich sie war. Auf einem Schrottplatz hatten Arbeiter später den Schutzmantel des Geräts geöffnet, die Kapsel herausgenommen und die darin enthaltenen 20 Gramm radioaktives Material verstreut. Daraufhin wanderte das verstrahlte Material mit ihnen und ihren Angehörigen durch die ganze Stadt. 110000 Menschen mussten wegen Verstrahlung untersucht werden, 249 hatten eine Überdosis abbekommen, vier Menschen starben später. Bei der Reinigungsoperation wurden 85 Häuser vernichtet und 125000 Fässer und Kisten vergraben, in die man verstrahltes Material – Kleider, Möbel, Erde – gepackt hatte.
25
Timo rief bei der Sicherheitspolizei in Helsinki an, wo eine Koordinationsgruppe zusammengetrommelt worden war. Dazu gehörten außer Leuten von der SiPo auch Vertreter vom Grenzschutz, vom Zoll und von der Zentralkripo. Seit Jahren war es auch in Finnland eine der wichtigsten Aufgaben der Sicherheitsorganisationen, den Schmuggel von Kernmaterial zu verhindern. Da die SADM noch in Russland sein konnte, war die Kontrolle an der finnischen Ostgrenze auf das Maximum erhöht worden.
»Könnte ein Zusammenhang mit dem Überfall auf den Werttransporter bestehen?«, fragte Välimäki aus Helsinki.
»Ich weiß es nicht. Ich habe hin und her überlegt. Haben die Gangster deswegen das Fahrzeug in Russland benutzt, obwohl es für den Raub eigentlich sinnlos war? Haben sie das Fahrzeug nur deshalb in ihre Gewalt gebracht, um die Kernladung über die Grenze zu bringen?«
»Das würde manches erklären. Zum Beispiel, wie professionell diese Leute vorgegangen sind. Was denkt man denn bei euch über diese Möglichkeit?«
»Das sind vorerst reine Spekulationen. Hier geht man ganz klar davon aus, dass sich die Kernladung im Besitz einer islamistischen Gruppierung befindet. Und zu dieser Hypothese passt die G1 nicht.«
»Möglicherweise ist der Sprengsatz noch in Finnland. Wir müssen den Premierminister und die Präsidentin informieren.«
»Theoretisch könnte der Sprengsatz tatsächlich noch in Finnland sein, aber das glaube ich nicht«, sagte Timo. »Sie wissen, dass sie gegen die Zeit spielen. Wenn sie ihn aus Russland herausgeschafft haben, wollen sie ihn auch so schnell wie möglich ans Ziel bringen.«
»An welches Ziel? New York? London?«
»Wir haben keine Zeit für weitere Spekulationen. Seht zu, dass ihr Gas gebt!«
Timo legte auf. Er nahm eine Tüte Studentenfutter vom Tisch, schüttete sie in die hohle Hand und beförderte den Inhalt in den Mund. Dann verließ er sein Büro und ging in die Einsatzzentrale von TERA im Kellergeschoss.
Der Raum erinnerte an ein Großraumbüro und war erfüllt von hektischem Treiben. An der Wand hingen Bildschirme, auf denen CNN und BBC World liefen, daneben Uhren, die die Zeit in unterschiedlichen Zonen anzeigten: Peking, Washington, Moskau, MEZ. Beamte tippten mit ernsten Gesichtern auf ihren Computern, telefonierten oder diskutierten. Drucker spuckten Papier aus. Hier und da standen halb volle Kaffeebecher.
Die einzelnen Tischgruppen waren mit großformatigen Schildern gekennzeichnet: I NFORMATIONSBESCHAFFUNG, A NALYSE, O PERATIONEN. Das waren die operativen Hauptabteilungen von TERA, die sich in die Abteilung für Antiterrorismus, radikale Bewegungen und andere Unterabteilungen gliederten. Außerdem waren die hauptsächlichen Kooperationspartner
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