Ewige Nacht
ökologischen Gruppierungen unterstützt worden, die die Stilllegung der Meiler verlangten. Ursprünglich war die ETA eine rein antikolonialistische, antikapitalistische und antiimperialistische Bewegung gewesen. Sie hatte sich erst später in eine nationalistische Organisation verwandelt. Ähnliche Anschläge auf Atomkraftwerke hatten in San Sebastian, Pamplona, Beriz und Tafalla stattgefunden. Schließlich hatten die Terroristen den Chef des Kraftwerks Lemoniz ermordet und den Chefingenieur gekidnappt.
Timo ging die Liste weiter durch. Nach dem Zerfall der Sowjetunion schien sich die Zahl der Atomunfälle vervielfacht zu haben.
Er begrenzte die Suche, indem er probehalber das Suchwort »Kernladung« mit »Ralf Denk« kombinierte.
Der Balken, der den Suchvorgang abbildete, wurde länger, und Timo machte sich darauf gefasst, eine Null angezeigt zu bekommen. Stattdessen erschien auf dem Bildschirm die Zeile: Es wurde 1 Dokument mit Ihrer Suchanfrage gefunden.
Timo machte es auf. Es war in italienischer Sprache verfasst und stammte vom SISD, aus der Zeit des Gipfeltreffens in Genua. Timo ließ das englische Übersetzungsprogramm darüber laufen. Die englische Version war plump, aber ausreichend:
Von unbekannter Seite war versucht worden, die G8 während des letzten Gipfels zu erpressen, aber das sonderbare Vorhaben war zerschlagen worden, bevor es Probleme gegeben hatte. Ein Mann war zu Tode gekommen, als er beim Zugriff der Polizei aus dem Fenster gesprungen war. Timo las gebannt die Schilderung der Ereignisse. Plötzlich richtete er sich auf.
Vor und während des Gipfeltreffens hatte es hunderte mehr oder weniger ernst zu nehmende Drohungen gegeben. Den Vorfall, über den auf dem Bildschirm berichtet wurde, hatte man als weniger ernst zu nehmenden eingestuft, dann aber doch mehrere Hausdurchsuchungen veranlasst und seitenweise Berichte von Geheimdienst und Polizei erstellen lassen.
Der dazugehörige Erpresserbrief war so unfassbar, dass Timo ihn zweimal las:
A N DIE S TAATSMÄNNER DER G8
Ihr seid acht. Wir sind sechs Milliarden.
In meinem Besitz befindet sich ein gentechnisch manipulierter Virenstamm, der ein hämorrhagisches Fieber auslöst und innerhalb von fünf Tagen tötet. Ein Gegenmittel gibt es nicht. Ihr könnt das an der Probe überprüfen, die sich im Schließfach Nummer 268 im Hauptbahnhof Genua befindet.
Das Virus wird unter der Bevölkerung einer europäischen Großstadt verbreitet werden, wenn ihr nicht bereit seid, in der kommenden Nacht um 24 Uhr GMT eine mindestens vier Kilotonnen schwere Kernladung im Höhlensystem von Mwanga am Punkt 07’15“ S, 27°25’12 E zu zünden. Ein schwarzes Kreuz in der Höhle markiert die genaue Stelle.
Die Medien werden von euch mit Fehlinformationen bedient: Zu der Explosion sei es beim Schlag der Sicherheitskräfte gegen Rebellen gekommen, die sich im Besitz einer russischen Kernladung befunden hatten.
BBC World Service und CNN haben innerhalb einer Stunde nach 24 Uhr GMT von der Explosion zu berichten. Andernfalls entlassen wir das Virus in die Atmosphäre.
Timo druckte den Text aus und ging damit zu Heidi Klötz. Er klopfte an die Tür, trat aber wie gewohnt ein, ohne die Aufforderung abzuwarten.
Die Kollegin telefonierte. Betont ruhig wiederholte sie etwas auf Deutsch. »Wenn das Kanzleramt es will, kann es gern direkt Kontakt mit dem Kreml aufnehmen. Aber ich halte das auf keinen Fall für vernünftig …«
Timo blickte auf den Wasserkocher auf dem Beistelltisch und auf die Packung deutscher Kräuterteebeutel, auf die mit Filzstift K LÖTZ geschrieben worden war. Dieselbe Aufschrift trug die Wasserflasche, die unbedingt Gerolsteiner enthalten musste, das hatte Timo gelernt, nicht Spa, nicht Vittel und schon gar nicht Evian.
Heidi Klötz beendete das Gespräch und sah Timo verärgert an. »Hoffentlich hast du etwas Neues aus Moskau?«
»Wie genau kennst du diesen Erpressungsversuch vom Gipfeltreffen in Genua?« Timo legte ihr die Papiere auf den Tisch.
Die Klötz gönnte ihnen nicht einen Blick. »Vergiss Genua, und konzentrier dich …«
»Es ist wichtig, Heidi.«
Timos Ton sorgte dafür, dass sich ihre leicht geschminkten Augen hinter der altmodischen Brille verengten, dann aber auf die Unterlagen richteten.
»Eine nach wie vor unbekannte ökoterroristische Gruppe hat versucht, die G8 zu zwingen, eine Kernladung im afrikanischen Busch zu zünden«, sagte Timo leise.
Klötz blätterte in den Papieren.
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