Ewige Nacht
hatte.
Im Gehen sah sie ihn an und konnte ihr Mitleid nicht verbergen. Der Tod des Bruders setzte ihm ungeheuer zu: Er hatte Theo schon als Kind nicht beschützen können – und nun das.
Die Atmosphäre im Dorf unterstützte ihre Stimmung noch. Die namhaftesten Architekten der Jahrhundertwende hatten die Villen entlang der Straße entworfen, und die besten Gärtner hatten in dem warmen Klima blühende botanische Oasen geschaffen, aber über allem lag die Patina des Vergangenen.
Ralf zog sein Telefon aus der Tasche. Im Hotelzimmer hatte er erneut die SIM-Karte gewechselt, in dieser Hinsicht war er übervorsichtig, er telefonierte auch nie in geschlossenen Räumen. In seiner Jackentasche steckte ein Aluminiumstift, der genauso aussah wie der, mit dem er dem Papst die Injektion verpasst hatte. Das beunruhigte Noora.
»Ist das nicht gefährlich?«, fragte sie.
»Nur zur Selbstverteidigung. Und dazu muss es gefährlich sein, sonst würde es mich nicht schützen …«
Die Telefonverbindung kam zustande. »Olow, alles in Ordnung?«, fragte Ralf mit gesenkter Stimme.
Ein alter Herr mit Filzhut und Lodenjacke kam ihnen entgegen, um den Hals trug er ein Fernglas, unter dessen abgenutzter Gummiarmierung Messing durchschimmerte.
»Buon giorno«, grüßte der Mann, und Noora erwiderte den Gruß.
Ralf setzte das Gespräch erst fort, als der Mann außer Hörweite war. »Na klar kommen sie auch nach Grodenfeld. Das ist nur eine Frage der Zeit. Du musst alle Spuren beseitigen … Lass das Haus abbrennen, bis auf die Grundmauern. Das hätte man ohnehin längst tun sollen«, sagte Ralf bitter. »Macht nichts, wenn sie merken, dass es Brandstiftung war. Hauptsache, es bleibt nichts von der Einrichtung übrig.«
Ralf blieb stehen und wandte Noora den Rücken zu. »Du fährst sofort hin, in ein paar Stunden bist du dort«, sagte er zu Olow und beendete das Gespräch. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch.
Noora hatte den Befehl gehört. Vielleicht bekam Ralf die Dinge allmählich wieder in den Griff. Spät am Abend hatte Tobias aus Brüssel gemeldet, er habe die Wohnung von Nortamo gefunden und gesehen, dass der Junge dort sei. Ralf hatte ihm aufgetragen, sich in der Stadt bereitzuhalten. Noora gefiel der Gedanke nicht, sich wieder an dem Jungen zu vergreifen, aber sie verstand, dass es gut war, Daumenschrauben zu haben, für den Fall, dass der Vater mit seinen Ermittlungen zu gut vorankam.
Die Baumreihe am Straßenrand endete. Es folgten Häuser, kleine Läden, Cafés und Restaurants, deren Fensterläden noch geschlossen waren.
»Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Polizei uns erwischt«, sagte Noora ruhig.
Ralf machte sich nicht die Mühe zu antworten. Sie gingen zwischen den Häusern nach rechts und kamen an einem unbebauten Grundstück vorbei, hinter dem die Straße zum Hang hinaufstieg.
»Werden wir uns hier versteckt halten?«, wollte Noora wissen.
»Nein. Wir fahren weiter.«
»Wohin?«
»Nach Hause.«
»Nach Göttingen?«, fragte Noora verdutzt.
Ralf lächelte beinahe triumphierend. »Nein. In die wahre Heimat.«
In einem Zimmer im Hauptquartier des italienischen Geheimdienstes SISD in der Via Lanza klingelte das Telefon. Der stellvertretende Direktor der Behörde, Paolo Giraudo, nahm selbst den Hörer ab.
»Ich habe versprochen, Sie auf dem Laufenden zu halten«, sagte Doktor Valpreda von der mikrobiologischen Abteilung des Italienischen Gesundheitsamtes am anderen Ende der Leitung. »Leider habe ich unangenehme Nachrichten. Wir haben ein Virus isoliert, das nach einem Ebola-typischen Filovirus aussieht. Aber die Form unterscheidet sich von allen Ebola-Arten, die wir kennen.«
Giraudo spielte mit dem dicken Filzstift, den er in der Hand hielt. »Was bedeutet das? Ist es – tödlich?«
»Sieben von zehn Ebola-Patienten sterben. Es gibt keine Therapie. Aber wie gesagt, das Virus, das wir isoliert haben, ist wahrscheinlich nur mit Ebola verwandt. Das ist sehr seltsam … Wir untersuchen gerade, ob dem Labor womöglich ein Fehler unterlaufen ist. Falls nicht, nehmen wir Kontakt zu den CDC in Atlanta auf.«
»Nein. Keine Kontaktaufnahme, bevor wir nicht die Erlaubnis gegeben haben!«
»Bei allem Respekt, Herr Giraudo, aber Sie scheinen nicht zu begreifen: Wir brauchen sofort detaillierte Informationen über den infizierten Patienten.«
»Sie werden so viele Informationen erhalten, wie Sie benötigen. Zu diesem Zeitpunkt genügt es, wenn ich Ihnen sage, dass es sich bei dem Erkrankten um eine
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