Ewige Nacht
an seine Arbeit gegangen, die Diskussion führte doch zu nichts.
»Entschuldigung, aber ich muss ein paar dringende Dinge erledigen«, sagte er und stand auf.
»Das gilt auch für mich«, sagte Heidi Klötz und folgte ihm, der italienische und der belgische Vertreter schlossen sich an.
Von seinem Zimmer aus rief Timo in Helsinki an.
»In der Nähe von Hamina ist ein Teil des Wertguts gefunden worden, das die Täter nach dem Überfall weggeworfen haben«, sagte Välimäki. »Aber eben nur ein Teil. Die Firmen, die den Werttransport beauftragt hatten, und ihre Versicherungen sind aus dem Häuschen über die verschwundene Fracht. Patentdokumente und so etwas.«
Timo war plötzlich wieder hellwach. In Finnland galten nach wie vor verschärfte Grenzkontrollen, und der Ostverkehr der letzten Woche wurde mit Hilfe von Videoaufzeichnungen und systematischer Befragung von Grenzbeamten detailliert ausgewertet.
»Grabt alles über Noora Uusitalo aus, was ihr kriegen könnt. Das ist keine gewöhnliche Aktivistin.«
Timo legte auf. Seine Gedanken schweiften zu Aaro ab, und er beschloss, dessen Nummer zu wählen.
»Was ist?«, fragte der nahezu ängstlich.
»Nichts. Was machst du so? Bist du im Internet?«
»Nein …«
Timo hörte an der Stimme, dass Aaro log. Er sagte nichts.
»Das heißt, ein bisschen.«
»Was macht Reija?«
»Sieht fern und isst Chips. Haben wir bei Delhaize gekauft. Cola auch. Und Eis«, sagte Aaron, um seinen Vater zu ärgern.
Timo hatte beschlossen, Reijas Einarbeitung Soile zu überlassen. Aber tanzte sie vielleicht schon nach Aaros Pfeife? Andererseits machte sie ja auch eher einen dickköpfigen Eindruck. Aaro war als ganz kleiner Junge genau so eine akustische Neutronenbombe gewesen wie alle Kolikkinder – er ließ Gegenstände unversehrt, ruinierte aber die Nerven und den Familienfrieden. Später dann hatte er nicht mehr versucht, seinen Willen durch Schreien durchzusetzen, sondern durch seine angeborene Fähigkeit, Erwachsene zu manipulieren. Er hatte ein gutes Gespür für die jeweilige Situation und verfügte über die Gabe, an die schwachen Eigenschaften der Gegenpartei zu appellieren – an Eitelkeit, Schuldgefühle, Faulheit oder den Wunsch zu gefallen.
»Wir haben im GB in Bascule einen Rucksack gekauft«, sagte Aaro vorsichtig.
Timo wollte schon zu einer strengen Antwort ansetzen, beherrschte sich aber. Es lohnte sich nicht, eine große Nummer daraus zu machen. »Hast du schon Johannes wegen des Schulbusses angerufen?«
»Bin noch nicht dazu gekommen. Wieso? Kannst du mich morgen früh nicht bringen?«
»Weiß ich noch nicht. Ich versuch’s. Aber kümmere dich sicherheitshalber um den Bus. Ruf im Verkehrsbüro an.«
»Ruf du an.«
»Ich habe …«
»Keine Zeit.«
»Richtig.«
Aaro seufzte. »Sobald ich dazu komme. Ich hab auch keine Zeit. Muss da was im Internet erledigen.«
»Und was?«
»LA Lakers gegen Minnesota. Quote …«
»Finde ich nicht lustig.«
»Dann eben nicht. Ciao.«
Timo lehnte sich zurück und verschränkte die Hände im Nacken. Er musste sich jetzt auf Ralf Denk konzentrieren. Je mehr er über die Situation nachdachte, umso merkwürdiger stellte sie sich ihm dar.
Er schaute nach Ralf Denks Adresse und gab sie ein. Auf dem Bildschirm öffnete sich der Stadtplan der Universitätsstadt Göttingen, ein roter Punkt markierte die Wohnung in der Jägerstraße.
Dann ging er die sonderbare Liste der Gegenstände durch, die in Theo Denks Zimmer im Pflegeheim gefunden worden waren: religiöse Literatur, Bilder und Krimskrams sowie primitive Gegenstände von Naturvölkern. Schließlich setzte er die Suche in der TERA-Datenbank fort, in die Berichte aus den Verbrechenskarteien der Mitgliedsstaaten weitergeleitet wurden, die Berührungspunkte mit den Ermittlungen der TERA aufwiesen.
Es gab eine Verbindung zwischen Atomterrorismus und ökomilitanten Gruppen. Bereits 1973 hatte ein Kommando der linksgerichteten argentinischen ERP die Atommeilerbaustelle Atucha nördlich von Buenos Aires angegriffen. 1976 waren in der Bretagne Bomben über einem Atomkraftwerk abgeworfen worden, aber der Reaktor war nicht beschädigt worden.
Plötzlich fiel es Timo wieder ein: Kurz nach dem Tod von Ulrike Meinhof hatte ein zwölfköpfiges Kommando versucht, in einen amerikanischen Stützpunkt in Gießen einzudringen, an dem heimlich Atomwaffen gelagert wurden.
Die ETA hatte mehrere Angriffe auf das Atomkraftwerk Lemoniz bei Bilbao unternommen und war dabei von radikalen
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