Ewige Nacht
Ermäßigung bekommt.«
»Warum?«
Aaro zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich ziehen die finnischen Mädchen andere Kunden an.«
Reija schnaubte. »Diese sexistische Kultur kotzt mich vielleicht an. Aber das mit der Ermäßigung ist natürlich klasse. Du weißt doch, was Au-pair eigentlich bedeutet? Moderner Sklavenhandel. Unser Verdienst liegt unter sämtlichen Mindestgrenzen.«
»Die afrikanischen Sklaven hätten das vielleicht anders gesehen. Wir haben ein Buch mit Bildern von Sklaven im Kongo. Sie haben …«
»Ich hab das im übertragenen Sinn gemeint.«
Aaro wollte zur Tarifpolitik nicht weiter Stellung nehmen, das war Mutters und Vaters Bier.
Auf beiden Seiten der Autobahn dehnten sich flache Felder aus. Das Telefon klingelte, und Timo wechselte auf die rechte Spur. Er schaltete die Freisprechanlage ein, ohne den Blick auch nur für den Bruchteil einer Sekunde von der Straße zu nehmen.
»Hier ist Heidi Klötz.«
Timo hörte sofort an ihrer Stimme, dass etwas vorgefallen war.
»Schau mal in deinen Briefkasten«, sagte Heidi. Damit meinte sie das kodierte Nachrichtensystem der TERA, in das man mit Hilfe des Palmbooks hineinkam.
»Keine Zeit. Lass uns reden. Lowe macht sich unnötig verrückt.«
Peter Lowe war der für die Sicherheit der Informations-und Nachrichtensysteme der TERA verantwortliche Däne, der nicht mal GSM-Algorithmen vertraute.
»Der Papst ist mit einem tödlichen Virus infiziert worden. Dieses Virus verursacht ein Ebola-typisches, hämorrhagisches Fieber.«
Timo erschrak, auch wenn es wahrscheinlich eher Zufall war, dass von genau dieser Infektion in dem Erpresserbrief von Genua die Rede war.
»Ebola-typisches, hämorrhagisches Fieber – das kann alles Mögliche sein«, fuhr Heidi Klötz mit rauer Stimme fort. »Aber vielleicht ist es wirklich gut, wenn du selbst einen Blick auf Denks Spuren wirfst.«
»In welchem Zustand ist der Papst?«
»Der Vatikan hat Washington um Hilfe gebeten. Der Papst wird in das Krankenhaus der US-Marine in Neapel transportiert. Man geht von einem Mordversuch aus.«
Timo trat aufs Gas. »Wer hat ihn infiziert?«
»Ein Mann und eine Frau. Sie traten als Paar auf, das eine Audienz hatte. Über ihre wahre Identität weiß man nichts, aber es gibt Aufnahmen von der Sicherheitskamera. Ich warte gerade auf die Bilder vom SISD. Die tatsächlichen Besucher wurden gefesselt in einem römischen Hotelzimmer aufgefunden.«
» Ist die Virusprobe, die in dem Erpresserschreiben von Genua erwähnt wird, je untersucht worden?«
»Ich gehe der Sache gerade nach«, sagte Heidi. »Erinnerst du dich an die Voodoo-Puppe in Theos Zimmer, von der ich dir erzählt habe?«
»Das kann wohl kaum ein Zufall sein.«
»Nein. Ich muss gehen, wir haben eine Besprechung.«
Timo unterbrach die Verbindung per Knopfdruck. Genua war für ihn schon als Kind eine seiner Lieblingsstädte gewesen: Kolumbus war dort geboren und Marco Polo dort gefangen gehalten worden. Timo hatte Geschichten von Entdeckern und Abenteurern verschlungen und immer selbst einer werden wollen. Aber schon als Jugendlicher hatte er gemerkt, dass es – wie ein paar hundert Jahre zuvor – noch immer eines vermögenden Elternhauses bedurfte, wenn man frei in der Welt umherreisen wollte. Daher hatte er mit dem Gedanken gespielt, zur See zu gehen. Aber da ihm oft schon auf der nur leicht schaukelnden Fähre nach Schweden schlecht geworden war, musste er sich etwas anderes einfallen lassen.
Am Ende war ihm die Berufswahl von den Umständen diktiert worden. Er hatte alles Mögliche gelesen, bloß keine Schulbücher. Seit den Kinderjahren hatte sein Abenteuerdrang unter der Realität des Alltags gelitten, aber es war immerhin noch genug davon übrig geblieben, um Polizist werden zu wollen.
Bislang war es mit seiner Karriere immer weiter nach oben gegangen, wenn auch mit gelegentlichen Rückschritten. In Sankt Petersburg hatte er das Gefühl gehabt, erfolgreich gewesen zu sein, doch in seinem Heimatland fand man seine Einschätzung der Gefahr, die durch die Ostkriminalität drohe, übertrieben. In Finnland war man zunächst nicht in der Lage gewesen, das feinmaschige Netz zu erkennen, das sich allmählich über die finnische Gesellschaft legte. Man verstand nicht, dass Prostitution, Drogenhandel und andere offene Kriminalität nur die Spitze des Eisbergs waren. Denn die schwerste Bedrohung ging von der schleichenden Legalisierung der Kriminalität aus: Kriminelle Vereinigungen rückten mit ihren
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