Ewige Schreie
bevor die Tür ins Schloß fallen konnte, stoppte er sie mit dem Fuß. Dann drehte er sich halb, winkelte das Knie an, stieß die Tür noch weiter auf und ging nach draußen. Als er schon das Haus verlassen hatte, fiel ihm ein, daß er die hintere Tür des Kombis noch öffnen mußte. Das schaffte er nicht mit einer Toten auf dem Arm. Er legte sie deshalb nieder, holte aus seiner Hosentasche die Wagenschlüssel, schüttelte sie aus dem Bund, schaute sich abermals scheu um und öffnete die Klappe. Hastig stieß er mit dem Handballen darunter, damit sie auch schnell genug in die Höhe flog. Sofort hob er die Leiche an und legte sie auf die Pritsche im Fond.
Dann klappte er die Tür wieder zu. Der Knall hörte sich irgendwie endgültig an, und James schloß für Sekunden die Augen. Zudem hatte er auch ein schlechtes Gewissen. Er wußte genau, daß er falsch handelte, denn er hätte die Polizei informieren müssen. Die hätten erst vom vier Meilen entfernten Nachbarort kommen müssen, so war es schon besser, daß er die Beamten aus dem Spiel ließ und erst einmal den Letzten Willen seiner toten Frau erfüllte.
Die Jacke wollte er nicht erst aus dem Haus holen. So schnell wie möglich mußte er zum Friedhof fahren, lief an der rechten Seite des Wagens vorbei und schloß die Fahrertür auf.
»Sie haben es aber eilig, Mr. McMullogh!«
James stand steif, als hätte er einen Ladestock verschluckt. Die Stimme, die ihn da angesprochen hatte, kannte er. Sie gehörte einer Frau aus dem Nachbarhaus, einer aufgedunsenen, ordinären Person, von der böse Zungen behaupteten, daß sie mal Kassiererin in einem Bordell in Glasgow gewesen war, bevor ihr Vater ihr das Haus vererbt hat.
»Ja, ja, Mrs. Cavendish, ich muß noch mal weg.«
»Komisch.«
»Was ist komisch?« James' Herz klopfte plötzlich oben im Hals. Er hatte höllische Angst davor, daß Mrs. Cavendish etwas gesehen haben konnte.
»Ihre Frau, Mr. McMullogh. Ich habe sie schon seit Stunden nicht gesehen. Sie ist sonst immer im Garten.«
»Sie fühlt sich nicht wohl.«
»Ah, so ist das.« Die Matrone mit den gefärbten Haaren lachte breit. Ihr Gesicht wirkte in der Dunkelheit wie die Fratze aus einem Gruselkabinett.
James McMullogh hatte beschlossen, sich um die Frau nicht mehr zu kümmern. Er stieg ein und verfehlte zweimal das Zündschloß, so aufgeregt war er.
Als er es endlich geschafft hatte und der Motor ansprang, sah er, wie Mrs. Cavendish winkte. Für einen Moment war er drauf und dran, einfach Gas zu geben, dann riß er sich zusammen und kurbelte die Scheibe nach unten.
»Was ist denn noch?«
»Wenn Sie Ihre Frau sehen, bestellen Sie ihr schöne Grüße. Und sagen Sie ihr, daß wir bald alle kämen.«
James spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Nur so.«
McMullogh schüttelte den Kopf, gab Gas und legte einen Kavaliersstart hin, über den er sich im nachhinein ärgerte, weil es wie eine Flucht aussah.
Die Worte der Frau gingen ihm auf dem Weg zum Friedhof nicht aus dem Kopf. Was hatte sie damit gemeint? Und vor allen Dingen, wußte sie vielleicht mehr, als sie zugegeben hatte?
Alles wies darauf hin. Der Mann beschloß, noch vorsichtiger zu sein. Er fuhr nicht schnell, da er nicht auffallen wollte. Betrieb herrschte nicht mehr. Wenn man in Walham von Betrieb überhaupt reden konnte, dann waren es zumeist Fußgänger, die unterwegs waren. Autos waren fast eine Seltenheit. Die Ziele innerhalb eines Ortes konnte man samt und sonders zu Fuß erreichen.
McMullogh suchte und fand seine Zigaretten. Er klemmte sich ein Stäbchen zwischen die Lippen und rauchte hastig auf Lunge. Angst hatte er, und er versuchte, sich durch den Qualm zu beruhigen. In Walham brannten nur wenige Laternen. Meist vor den öffentlichen Gebäuden, zu denen auch die drei Pubs zählten. Die Scheinwerfer warfen ihre hellen Streifen auf die Straße, und in ihren Lichtbahnen tanzten unzählige Staubpartikel.
Fast hätte er die Abzweigung zum Friedhof verpaßt, denn wer fuhr schon diesen alten Schleichweg, der zu einem Totenacker führte, den man seit urlanger Zeit stillgelegt hatte.
Um diesen Friedhof rankten sich zahlreiche Geschichten und Rätsel. Man sprach von dem Geist eines Gehängten, der dort spuken sollte und auch von gefährlichen Selbstmörder-Ecken. Die älteren Einwohner machten einen Bogen um das Gelände, neben dem noch die Mauern der alten romanischen Kirche standen. Die Kirche wurde auch nicht mehr benutzt. Nach dem Mord an einem
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