Ewige Schreie
jemand näherte.
Der Weg hinter dem Eingangstor war einmal breit gewesen. Auch jetzt besaß er noch die Breite, doch im Laufe der langen Jahre hatte sich das Unkraut ungemein stark vermehrt. Gras, Buschwerk, kleinere Bäume, darüber die großen, die ihre Äste und Zweige schützend vorstreckten, wobei sie sich gegenseitig berührten und ein Dach bildeten, das bis an das Ende des Wegs reichte.
Der Boden war weich, nachgiebig. Die Schritte federten, die Arme der Toten bewegten sich, wobei die Hände schon im hohen Gras verschwanden.
Lange Jahre hatte man auf diesem alten Friedhof die Toten begraben. Und das war auch zu sehen.
Die Menschen von Walham hatten sich in den früheren Jahren an ein bestimmtes Schema gehalten. Sie stellten, wenn die Toten bestattet waren, die Grabsteine nicht aufrecht hin, sondern legten sie schräg und flach auf die Erde, so daß sie wie gekippte Dachfenster wirkten. Und seltsamerweise hatte die Natur um die Grabsteine herum einen Wachstumsstopp eingehalten. Die Steine lagen frei. Kein Unkraut bedeckte sie, und das Moos hatte seinen Weg kaum über die grauen Platten gefunden.
Sie blieben so, wie man sie aufgestellt hatte. Ein Spiegelbild des vorletzten Jahrhunderts. Natürlich waren die Namen der Personen, die unter den Steinen begraben waren, nicht mehr zu lesen, aber das interessierte auch keinen. Hier stattete niemand den Toten einen Besuch ab.
Mit seiner makabren Last über der Schulter schritt der Vertreter weiter. Er atmete schwer und schnell. Das Gewicht auf seiner Schulter drückte. Die ineinander verfilzten Bäume und Büsche standen wie eine dichte grüne Wand. Sie ließen kaum Wind durch, da mußte schon ein Sturm kommen, um Kühlung zu bringen. Zudem hatten sie die Wärme auch gespeichert. Zusammen mit dem wilden Duft der Blüten und der Schwüle schien die Luft zu einem breiigen Etwas zu werden, das kaum noch zu atmen war.
James McMullogh verzog das Gesicht. Sein Mund stand offen. Pfeifend holte er Luft. Er hatte immer größere Schwierigkeiten, und es kostete ihn sehr viel Kraft, überhaupt auf den Beinen zu bleiben. Die Knie wollten nachgeben, sie zitterten, und mehr als einmal war er nahe daran, sich einfach fallen zu lassen.
Dann jedoch dachte er an den Letzten Willen seiner Frau und ging schwankend weiter.
Wo der Weg zu Ende war, dort mußte er hin, denn da lag das offene Grab, in dem seine Frau bestattet werden sollte.
Noch hatte er nicht einmal die Hälfte geschafft, und er wurde durch seine körperliche Mattheit gezwungen, eine Pause einzulegen. Schwankend blieb er stehen. Wie von selbst rutschte die Tote von seiner Schulter und fiel ins Gras. Befreit fühlte sich James plötzlich, und am liebsten hätte er sich neben die Tote gelegt, um zu ruhen. Ein paarmal holte er Luft, wobei er das Gefühl hatte, Watte einzuatmen. Vor seinen Augen drehte sich alles, wenn er sie schloß. McMullogh biß die Zähne zusammen. Er durfte jetzt nicht aufgeben, sondern mußte weitermachen.
Rechts sah er zwei Grabsteine. Sie lagen dicht nebeneinander. Anscheinend war in diesem Doppelgrab ein Ehepaar bestattet worden. Sein Blick fiel auf die grauen Steine, die etwas schräg im Boden lagen. Wäre er bei voller Konzentration gewesen, hätte er sich sicherlich darüber gewundert, daß er trotz der Dunkelheit die Grabsteine so gut erkennen konnte. Er sah zwar die hellen Flächen, doch er dachte über den Grund nicht nach. Den bekam er allerdings geliefert, denn plötzlich bewegte sich auf einem Grabstein etwas.
Es stieg von unten hoch, war erst nur ein helles Schemen, das sich innerhalb des Steingefüges drehte und dabei hin-und herwallte. Blaß und hell wurden die Grabsteine, und das seltsame Leuchten nahm plötzlich Gestalt an. Es formte sich zu einer Kontur. Aber nicht nur auf einem Grabstein, sondern auch auf dem zweiten daneben.
Etwas Unheimliches ging hier vor und stieg aus der Tiefe der Erde an die Oberfläche. Schemen, Nebel - Gesichter… Ja, es waren Gesichter, die sich innerhalb der beiden Grabsteine herauskristallisierten. Schreckliche Fratzen mit weit aufgerissenen Mündern und Augen. Ein Mann und eine Frau. Zwei häßliche Totengesichter, die James McMullogh anstarrten.
Er glaubte, verrückt zu werden. Ein unsichtbarer Ring aus Eis umschloß sein Herz, und als plötzlich über ihm in den dichten Baumkronen ein Käuzchen schrie, da war der Horror perfekt.
Der Totenvogel rief…
Wie ein Zeichen oder Startschuß hörte es sich an, denn im gleichen Augenblick öffneten
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