Ewiger Schlaf: Thriller
»Ach ja, Tom Jackson hat vorhin angerufen. Der Detective. Er möchte, dass du ihn zurückrufst.«
Waters wurde die Kehle eng. »Hat er gesagt, um was es geht?«
»Rose hat mit ihm gesprochen. Es ist bestimmt wegen der gleichen Sache.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf Annelise, die auf ihren Teller blickte.
Waters wusste, was sie meinte: die Danny-Buckles-Geschichte. Jackson hatte in den vergangenen zwei Wochen mehrmals angerufen, um Waters über die strafrechtliche Verfolgung Buckles’ auf dem Laufenden zu halten – aber diese Geschichte war bereits im Gange. Vermutlich ging es Jackson um etwas anderes. Um den Mord an Eve Sumner, möglicherweise. Tom Jackson war bei der Polizei von Natchez für sämtliche Mordfälle zuständig.
»Ich rufe Tom an, bevor es zu spät wird«, sagte Waters.
Lily warf ihm einen sanften Blick zu. »Warum wartest du nicht bis morgen? Ich möchte jetzt nicht an diese Dinge denken.«
»Was für Dinge?«, fragte Annelise und sah auf.
»Steuern«, antwortete Lily – das war ihr Universal-Euphemismus für alles, was Annelise nicht zu hören brauchte.
»Ach so«, sagte Annelise. »Wie langweilig. Wisst ihr, was Fletcher heute gemacht hat? Ihr werdet’s nicht glauben.«
Waters versuchte, den Kopf frei zu bekommen, sodass er seiner Tochter zuhören konnte, doch hunderte von Gedanken knabberten wie Fische an seinem Bewusstsein. Während er versuchte, seine Sorgen vor Annelise zu verbergen, fühlte er, wie Lilys Fuß unter dem Tisch seinen Knöchel berührte. Sie hatte ihren Schuh ausgezogen und rieb jetzt mit einem Zeh an seiner Wade. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte; so etwas tat sie sonst nie.
»Wollen wir zusammen einen Film angucken?«, fragte Annelise, nachdem sie ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte. »Ich hab gestern eine neue DVD von Amazon bekommen.«
»Welche denn?«, fragte Waters.
»Plötzlich Prinzessin.«
Annelise sprang auf, ergriff seinen Arm und zerrte ihn in Richtung Wohnzimmer. Während Waters die DVD einlegte, hörte er Lily die Küche aufräumen. Normalerweise würde sie sich jetzt in ihre Büroecke zurückziehen oder im Haus arbeiten. An diesem Abend aber kam sie ins Wohnzimmer und setzte sich neben Waters auf die Couch. Zur Hälfte des Films nahm sie seine Hand, verflocht ihre Finger mit seinen. Lilys offensichtliche Absicht, ihr Versprechen vom Nachmittag einzulösen, überraschte und besorgte Waters. Sein Erlebnis im Eola war ihm noch zu frisch im Gedächtnis, und er wollte nicht von diesen Erinnerungen überwältigt werden, während er mit seiner Frau schlief.
Die Handlung des Films entfaltete sich, doch Waters nahm sie kaum wahr; in Gedanken beschäftigte er sich mit Tom Jacksons Anruf. Lily ging nach oben und holte Annelises Schlafanzug, und Annelise zog sich um, während sie sich das Ende des Films anschauten. Als der Abspann lief, erwachte Waters aus seiner Versunkenheit. Er brachte Annelise nach oben auf ihr Zimmer, wo sie neben Albert, ihrem ausgestopften Hasen, ins Bett schlüpfte. Als er wieder nach unten ging, wartete Lily am Fuß der Treppe.
»Nimm mich in die Arme, John.«
Er zog sie an sich.
»So ist es gut.«
Sie zog ihn von der letzten Treppenstufe und stieg selber hinauf, sodass sie auf gleicher Augenhöhe standen. Dann küsste sie ihn auf den Mund. Ihre Lippen waren geschlossen, doch als Waters schon meinte, Lily würde sich von ihm lösen, streifte plötzlich ihre Zunge über seine Zähne. Er erstarrte vor Überraschung. Lilys Zunge drückte fordernd, bis er den Kuss erwiderte. Sie ließ die Zunge in seinen Mund gleiten, nahm seine Hand und drückte sie auf ihre Brust.
Augenblicke wie dieser waren für Waters auf schmerzliche Weise befremdlich. Er hatte nie vergessen, wie sehr Lily sich nach dem Verlust des Babys verändert hatte. Damals schlief sie fünfzehn Stunden am Tag und aß kaum etwas. Unter ihrer Depression witterte er einen Furcht erregenden Zorn, doch sie unterdrückte ihn – allerdings eher wie ein bettnässendes Kind, dem man mit Schlägen droht und das mit zusammengebissenen Zähnen, gelähmt vor Angst gegen den Harndrang ankämpft. Waters hatte vorsichtig das Thema Adoption gestreift – mit dem Erfolg, dass Lily ihn tagelang wie Luft behandelte. Vier Monate lang hatten sie keinen Sex.
Eines Abends brachte Lily Annelise über Nacht zu ihren Eltern, ohne Waters ein Wort davon zu sagen. Dann folgte sie einer psychologischen Landkarte, die sie angelegt hatte, damit sie sich so weit entspannen konnte, um
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