Ewiger Schwur
bereuten – und da ein solcher Mann zweifellos bewaffnet war, wollte sie kein Risiko eingehen. Nachdem keine Reaktion erfolgte, trat sie vorsichtig durch die Tür – und stand direkt vor einem Mordopfer.
Bitte, Gott, mach, dass es nicht Pell ist. Nicht heute Nacht.
Die Türklinke unter ihren Fingerspitzen war kalt und beruhigend solide in einer Welt, die rasend schnell zerbrach. Wenn sie geglaubt hatte, es sei unwirklich, einen Club zu betreten, der bekanntermaßen von Dämonen heimgesucht war, dann war dieser Todesfall etwas völlig anderes.
Schau hin.
Sie musste hinschauen. Sie musste es
wissen.
Aber sie wollte nicht wissen, ob sie zu spät gekommen war. Ob sie nicht rechtzeitig gekommen war, um auf Pell aufzupassen.
Sie hatte es ihrer Tante versprochen. Sie hatte es Pell versprochen.
Versprechen spielten keine Rolle, wenn Pell tot war.
Sie ließ die Türklinke los und versuchte, ihre Panik in Schach zu halten. Die Winterluft war kühl, und sie hatte ihren Mantel in der Garderobe des Clubs gelassen, weil sie nicht geplant hatte, nach draußen zu gehen.
Lass mich nicht zu spät kommen.
Die Tote lag in einer Lache aus dunkelrotem Blut auf dem Boden, Blut, das in der beißenden Kälte unangenehm dampfte. Die Farbe bildete einen scharfen Kontrast zu der nüchternen Bluejeans und der schweren Daunenjacke. So bekleidet war die Frau nicht hierhergekommen, um ein wenig zu tanzen und etwas zu trinken.
Mischka ging vorsichtig um die Gestalt auf dem Boden herum und beäugte die Frau.
Nicht Pell. Nicht Pell. Nicht Pell.
Das Blut schoss zurück in ihren Kopf. Sie fühlte sich plötzlich benommen, aber es gab nichts zum Hinsetzen, und jetzt wusste sie nicht, was sie als Nächstes tun sollte.
Mischkas Eltern waren überrascht worden.
Die Erinnerungen stürmten auf sie ein, der klebrige Kupfergeruch von Verzweiflung und Tod war allzu vertraut. Sie war zwölf gewesen, und sie hatte verschlafen, war geweckt worden, weil sie ihre Eltern unten schreien hörte. Sie war gut beraten gewesen, nicht hineinzugehen, sondern bloß durch die Küchentür zu linsen und dann wie der Teufel davonzulaufen, um Hilfe zu holen. Aber es war zu spät gewesen. Sie hatte es gewusst, bevor sie den Hof überquert hatte. Und sie hatten den Schweinehund nicht geschnappt. Sie hatte einen halben Blick auf ihn werfen können, ein unscharfes Bild in ihrer Erinnerung, das sie nie wieder loswerden würde. Die hochgewachsene, breitschultrige männliche Gestalt hatte teure Waffen eingesetzt und eine ungewöhnliche Klinge benutzt, daher hatte die MVA gefolgert, dass es nicht der typische Psychopath gewesen sein konnte. Sie wusste, dass er kalt war. Methodisch. Skrupellos. Ein Teil von ihr hatte in ebendiesem Moment in diese Küche gehen
wollen,
damit er ihrem Leben an Ort und Stelle ein Ende bereitete und sie nicht den Rest ihres Lebens damit verbringen musste, ihn hinter sich zu wissen. Darauf zu warten, dass er sie einholte.
Seine Augen hatten genügt, dass sie jahrelang schreiend aus Albträumen hochgeschreckt war. Schließlich hatte sie es nicht mehr ausgehalten und war zu einem Therapeuten gegangen. Diese dämonischen Augen glühten, bis sie hätte schwören können, dass sie in einen höllischen Brennofen blickte. Er war natürlich nicht menschlich gewesen. Sie hatte das gewusst, noch bevor er ihren stämmigen Vater hochgehoben und wie einen Sack Kartoffeln gegen die Wand geschleudert hatte. Ihre Eltern hatten keine Chance gehabt.
Ihre Tante und ihr Onkel liebten sie. Sie hatten die Verantwortung übernommen und ihr Bestes gegeben, hatten nie versucht, die Eltern zu ersetzen, die sie verloren hatte. Sie hatte sie geliebt, und sie hatten sie geliebt – aber ein Teil von ihr wartete weiterhin darauf, dass ihre Eltern wieder nach Hause kamen.
Diese tote Frau in der Gasse hinter dem G2, das waren nicht ihre Eltern, und sie war nicht Pell, aber sie war die Tochter eines anderen gewesen. Cousine. Freundin. Irgendwo dort draußen wartete jemand darauf, dass sie nach Hause kam, aber sie würde nie mehr kommen.
Sie sollte die Behörden verständigen. Das war das Richtige.
Blind suchte sie in ihrer Tasche nach ihrem Handy, den Blick starr auf die Szene vor sich gerichtet. Die Frau war aufgeschlitzt worden, von der Kehle bis zum Brustbein. Blut tränkte die braunen Strähnen ihres Haares, und ihr Gesicht war jetzt eine steife Maske des Entsetzens und der Resignation.
Die Frau hatte den Tod kommen sehen, aber sie war offenbar nicht überrascht
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