Ewiges Verlangen
Stunden schlafen sollen, die ihr Körper verlangte. Aber nein, sie hatte im zweiten Stock von Alexander Romans Wohnung nach einem unverschlossenen Fenster gesucht, und als sie eines gefunden hatte, hatte sie die Scheibe eingeschlagen, war die blöde, klapperige Feuerleiter hinuntergestiegen und zu dem einzigen Ort geflüchtet, mit dem sie unendlich viel verband, dem einen Ort, an dem sie mit Sicherheit wieder zu Verstand käme.
Sie umfasste das Geländer, zog sich hoch, stapfte zu einer Tür hinüber und öffnete sie weit. In der psychiatrischen Abteilung herrschte eine Geschäftigkeit wie bei Starbucks um acht Uhr abends. Die nachmittägliche Besuchszeit war in vollem Gange, und Familien und Angehörige wurden in die eine oder andere Abteilung gedrängt, abhängig vom Alter des Patienten. Saras Mutter war noch vor einem Monat Teil dieser Menschenmenge gewesen, wenn sie ihren Sohn zweimal im Jahr besuchte, und sie hatte wie alle anderen beim Eintreten einen hoffnungsvollen Ausdruck gezeigt und dafür gebetet, dass sie ihren Sohn verändert, geheilt vorfände. Nicht selten verließ man die Abteilung enttäuscht.
Sara stahl sich am Schwesternzimmer vorbei, eilte direkt auf die Tür zur Erwachsenenstation zu und wollte gerade ihren Sicherheitscode eingeben, als eine Stimme rief: »Was ist denn mit Ihnen passiert?«
Sara schaute gespielt lässig zu Claire, der Hauptempfangsschwester, zurück und zuckte die Achseln. »Ich bin auf der Treppe zu meinem Apartment gestolpert. Wir hatten Glatteis heute Morgen.«
Claire wirkte besorgt. »Haben Sie bei der Notaufnahme vorbeigeschaut?«
»Ja. Alles gut.« Sara wollte die Flut der Fragen unterbrechen, wandte sich wieder um und gab ihren Sicherheitscode ein. Ja, alles gut. Ich bin in die Notaufnahme spaziert und habe ihnen von dem Patienten erzählt, der mich angegriffen hat, sowie von dem Vampir, der mich entführt hat, und sie haben sofort Cameron Phelps runtergeschickt, um meine Psyche zu untersuchen.
Die Tür summte, und Sara trat hindurch. Sie lief, genau wie an jedem anderen Tag, unmittelbar zu Grays Zimmer. Sie fand ihn schlafend und in sein Kissen geschmiegt vor, wodurch er friedlich und jung wirkte. Der Anblick hätte sie beruhigen sollen, aber dem war nicht so. Sie hatte seit der Nacht jenes Feuers jeden Moment ihres Lebens an nichts anderes mehr gedacht, als ihren Bruder wieder gesund zu machen. Jeden Tag, an dem er mit ihrer Mutter zu Hause gefangen war, stumm und unter Schmerzen, studierte sie wie verrückt, wartete darauf, ihren Abschluss machen zu können, wartete auf den Moment, in dem sie kommen und ihn holen, ihm helfen und ihn wieder gesund machen könnte.
Vier Jahre waren inzwischen vergangen, vier Jahre, in denen sie mit ihm gearbeitet hatte, in diesem Krankenhaus versucht hatte, sein Trauma zu heilen. Sie hatte zahllose Arzneimitteltests gemacht, hatte eine einjährige Studie über unterschiedliche Grade der Angst, Nervosität und Depression durchgeführt, hatte Angstgedächtnis versus Langzeitgedächtnis sowie Verdrängung studiert, und obwohl einigen ihrer Patienten geholfen werden konnte, war bei Gray alles unverändert geblieben. Was stimmte nicht mit ihr, dass sie die Antwort nicht fand, dass sie keinen Weg finden konnte, ihn zu heilen?
Sie stieß sich vom Türpfosten ab, verließ sein Zimmer und eilte zu ihrem Büro. Sie befand sich jetzt in unmittelbaren, realen Schwierigkeiten. Und in ihrer Welt brachte man es wieder in Ordnung, wenn man in Schwierigkeiten steckte. Es war ein einfaches Szenario: Ein Patient brach in jemandes Apartment ein und versuchte, denjenigen zu töten. Daraufhin hielt man nicht erst einmal inne, um nachzudenken oder die Gefühle anderer abzuwägen, sondern man rief die Polizei.
Die Tür ihres Büros war geöffnet, sie schaltete das Deckenlicht ein und trat zu ihrem Schreibtisch hinüber. Sie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und fuhr sich mit der Hand über den Mund, als wolle sie sich daran hindern, laut zu sprechen.
Nimm den Hörer.
Sie starrte darauf.
Was, zum Teufel, denkst du dir, Sara? Du bist nicht dumm. Tu es. Du schuldest dem … Vampir nichts, keine Loyalität.
Aber war das die Wahrheit? Er hatte ihr das Leben gerettet. Was auch immer er war, was auch immer er zu sein behauptete, er hatte sie am Leben erhalten, damit sie ihren Bruder am Leben erhalten konnte. Und war das nichts wert? Ein gewisses Alibi-Gefühl der Loyalität?
Du weißt, als was man das bezeichnet, oder, Herzchen? Als
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