Ewigkeit
Gnade walten zu lassen. Ich bin, wie du sagst, Soldat und kein Meister. Genug davon! Kannst du mir noch weitere Auskünfte geben, ehe ich um Befehle nachsuche, wie mit euch zu verfahren ist?«
Rhita schauderte es. Das Schlüsselbein hatte man ihr weggenommen, als sie aus dem Flugzeug gezerrt wurden; und sie hatte keine Idee, was mit dem Tor geschah. Aber die Dunkelheit kam heran. Mehr als alles andere wollte sie von diesem Ort weg, der Verantwortlichkeit für ihre Großmutter, die Akademeia und ihre Kaiserliche Hypselotes entbunden sein – was auch immer ihr jetzt passiert war…
Sie war von Schrecken erfüllt. Die letzten paar Stunden hatten ihr Zeit gelassen, einige Fakten in sich aufzunehmen, die sie bisher hatte ignorieren können. Sie war sterblich. Diese Leute würden sie und alle ihre Gefährten mit Vergnügen umbringen. Lugotorix konnte sie nicht schützen, obwohl er zu gegebener Zeit, falls es dazu kommen sollte, sein Leben sofort opfern würde.
Die Situation war ihr Werk. Sie konnte nicht leichtfertig ihrem Vater oder Patrikia die Schuld geben. Sie hatte eingewilligt zu kommen. Was durch die Überbringung der Botschaft an Kleopatra herauskommen würde, konnte man nicht vorhersehen, aber…
Sie erschauerte.
Die kirgisischen Soldaten drängten und schoben sie aus dem Zelt in eine hastig aufgestellte Umzäunung aus Zeltstangen und Zeltbahnen, die aus den Notbeständen in dem Frachthubschrauber stammten. Die Umzäunung hatte kein Dach und lag offen unter dem kühlen Wind bei einbrechender Dämmerung. »Ich glaube, wir sind tot«, murmelte Atta, als der letzte Teil der Zeltbahn von einem kirgisischen Infanterist, der sie mit neugierigen Schlitzaugen betrachtete, aufgespannt und festgebunden wurde.
Ihr Gefängnis war höchst kümmerlich, aber sie wagten nicht einmal, den Zeltstoff zu berühren. Durch Gebärden mit Flinten und Händen, die über den Stoff strichen, hatten sie den direkten Eindruck gewonnen, daß jeden, der auch nur eine Falte in die Barrikade machte, eine Kugel erwartete.
Rhita hockte auf dem Schlamm, die Arme über die Knie gekreuzt und rieb sich müde das Gesicht. Sie mußte ganz dringend Wasser lassen; aber niemand hatte in der Barrikade eine Latrine vorgesehen, und sie war zu wütend und verwirrt, den Anfang zu machen. Aber bald würde sie dazu gezwungen sein.
Sie blinzelte zu den Sternen empor, so elend wie nur je in ihrem Leben, und fühlte, wie deren Kälte in ihr Gesicht drang. Sie wissen es nicht, es kümmert sie nicht.
Alles Absolute war ohne Bedeutung. Wie weit konnte eine Göttin wie Athene reichen? Sie schien jenseits von Gaia völlig fehl am Platze zu sein. Der Trost des Gebetes bedeutete wenig, wenn sie bald sterben würde – in Qual und Schande, fern von Rhodos.
»Verdammt, ich muß pinkeln!« sagte sie laut. Jamal Atta starrte auf sie herunter mit gerunzelter Stirn.
»Auch ich muß«, sagte er. »Wir werden…«
Rhita ignorierte ihn. Sie war durch etwas über ihrem Kopf gefesselt – eine leuchtende gerade grüne Linie, ganz ohne Verzierungen und stumm.
»…da drüben eine Stelle einrichten…«, fuhr Atta fort.
Die Linie bewegte sich glatt über ihre Einzäunung. Rhita konnte nicht sagen, ob sie nahe oder weit entfernt war. Eine andere grüne Linie kreuzte sie, und beide Linien rückten mit ihrer Verbindungsstelle schnell an den Rand des Geheges. Dadurch schienen sie in der Nähe zu sein.
Das Tor. Etwas ging mit dem Tor vor sich.
Die Linien kamen außer Sicht. Es gab kein ungewöhnliches Geräusch draußen. Männer unterhielten sich in weichen Kehllauten, Stiefel schlurften über Dreck, Gras raschelte im kühlen Abendwind. Die Dunkelheit war fast vollkommen. Rhita roch groben Schlamm und ängstliche Männer und das Grün der Steppen.
Wie ein Automat folgte sie Atta zu der vorgesehenen Latrine, die durch Linien markiert war, die man mit den Stiefeln zusammengescharrt hatte. Sie zog ihre Hosen herunter und erleichterte sich. Ein paar Männer sahen in ihre Richtung, die sich niemals scheuten, einen Blick auf weibliches Fleisch zu erhaschen. Sie zog die Hosen wieder hoch, trat aus den markierten Linien und schaute ihre Gefährten in der Umzäunung scharf an. Die standen mit hängenden Köpfen niedergeschlagen da, die Gesichter durch eine schwache Mondsichel und das Sternenlicht kalt umrahmt.
Soweit war es nun also gekommen. Sie hoffte jetzt wirklich, daß irgend etwas durch das Tor kommen würde. Das könnte ihre einzige Chance für eine Gnadenfrist sein.
War
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