Ewigkeit
Anfang des Verschlüsselungsprozesses. Morsezeichen, so viel wusste Floyd aus seiner Seefahrerzeit in Galveston, waren nichts weiter als eine Methode, um geschriebene Wörter zu senden. Jeder mit einem Morseverzeichnis konnte eine solche Nachricht knacken, selbst wenn er den Code vorher noch nicht gekannt hatte. Für Gesellschaftsspiele war das eine nette Sache, aber nicht annähernd sicher genug für Spione. An diesem Punkt kam die Enigma-Maschine ins Spiel. Die Signale, die über das Radio hereinkamen, waren vom unbekannten Absender chiffriert worden. White hatte diese Botschaften mit ihrer nunmehr zerstörten Enigma-Maschine entschlüsselt.
Das hieß, dass sie eindeutig eine Spionin gewesen war. Daran bestand kein Zweifel mehr. Es hieß auch, dass es nicht die geringste Hoffnung gab, jemals herauszufinden, was die verdammten Morsesendungen bedeuteten.
Floyd schreckte aus seinen Überlegungen auf und sah auf die Uhr: halb vier. Er versetzte sich nicht ohne Mühe in die Rolle eines Mannes, der keinen Kontakt zu seinem Partner gehabt hatte, und kam zum Schluss, dass er wohl am ehesten zum Tatort gehen würde, um sich die ganze Geschichte persönlich anzusehen. Floyd trank einen Schluck Wasser und griff nach Hut und Mantel. Er wollte Susan Whites Dokumentendose schon auf dem Schreibtisch stehen lassen, als ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss: Wer auch immer Blanchard ermordet hatte, er war wahrscheinlich hinter diesem Ding her gewesen. Erst war Susan White getötet worden und jetzt ihr Vermieter. Wer auch immer den zweiten Mord begangen hatte, wusste jetzt wahrscheinlich, dass die Dose anderswo war. Und bei all den Visitenkarten, die dort herumlagen, würde dieser Jemand nicht allzu lange brauchen, um Floyd mit der Sache in Verbindung zu bringen.
Er nahm die Dose mit. Von jetzt an würde sie ihn begleiten, wo immer er hinging.
Floyd bog in die Rue des Peupliers ab und bremste langsam, als er eine Gruppe von drei Polizeiwagen bemerkte, die vor der Nummer dreiundzwanzig standen. Im Rückspiegel sah er die dunkle Limousine, die er in der Rue de Dragon bemerkt hatte, an sich vorbeiziehen und zur Kreuzung Rue de Tolbiac vorfahren. Das Auto wurde langsamer, als sich der Fahrer Floyds Position notierte. Der Junge, der Floyd verfolgte, war ein Amateur, und Floyd hatte sich auf der Fahrt quer durch die Stadt keine Mühe gegeben, ihn abzuschütteln. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war jemand mit mehr Erfahrung auf dasselbe Zielobjekt angesetzt worden.
Floyd hielt auf halbem Weg an der Straße, schaltete den Motor aus und beobachtete das Geschehen einen Moment lang schweigend. Obwohl der Todesfall mindestens fünf Stunden, wahrscheinlich eher sechs zurücklag, war eine große Zuschauermenge auf dem Bürgersteig unter dem Balkon versammelt. Im Nachmittagslicht wurden die Schatten der Menschen allmählich länger. Einen morbiden Augenblick lang fragte sich Floyd, ob die Leiche immer noch da war, vom Sturz zerschmettert und entstellt. Das erschien allerdings unwahrscheinlich, und je länger Floyd zusah, desto offensichtlicher wurde, dass die Schaulustigen sich nur um den Gebäudeeingang scharten, weil sie hofften, von den Polizisten und Wissenschaftlern des Quai, die wahrscheinlich immer noch am Tatort ein- und ausgingen, einen Fetzen aus der forensischen Gerüchteküche aufzuschnappen.
Floyd strich sich das Haar glatt, setzte den Hut auf und stieg aus. Er näherte sich der Zuschauermenge, in der er keine bekannten Gesichter entdeckte. Zwei uniformierte Beamte hielten an der Tür Wache und lieferten sich ein beständiges Geplänkel mit der Menge. Vorsichtig bahnte Floyd sich einen Weg durch die Versammelten, bis er schließlich direkt vor dem Polizisten stand.
»Kann ich Ihnen helfen, Monsieur?«, erkundigte sich der Ältere der beiden.
Floyd zeigte dem Mann seine Ausweispapiere und seine Visitenkarte. »Ich bin Privatdetektiv«, erklärte er. »Monsieur Blanchard – der verstorbene Monsieur Blanchard – war zufällig mein Klient.«
»Dann sind Sie ein bisschen spät dran, finden Sie nicht?«, antwortete der Polizist und erntete ein zustimmendes Lachen von seinem Kollegen.
Floyd versuchte genauso fröhlich und unbeteiligt wie der Polizist zu klingen. »Ich habe für Monsieur Blanchard einen früheren Vorfall in diesem Gebäude untersucht. Jetzt, wo ihm etwas zugestoßen ist, muss ich mich natürlich fragen, ob ein Zusammenhang besteht.«
»Ihr Klient ist tot«, erwiderte der Polizist.
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