EwigLeid
Ausdruck seines Zorns, weil seine Eltern ihn von sich gestoßen hatten.
Weil so viele Menschen ihn verhöhnt hatten.
Sie hatte gesagt, er wäre ein guter Mensch und brauchte lediglich Hilfe. Irgendwann fing ihr Geschwafel an, plausibel zu klingen.
Er begann, sich zu fragen, ob er womöglich verrückt war. Er begann, an sich selbst zu zweifeln. An seinen Taten. Er begann zu überlegen, ob sein Verlangennach Nora lediglich auf einem Wunschtraum beruhte.
Trotz der Überwachungskameras, die er installiert hatte, trotz seiner Pläne fing er an, die Psychologin zu verletzen, nur damit sie den Mund hielt. Doch selbst als er ihr Messerwunden zufügte, bewies die Frau eine erstaunliche Schmerztoleranz. Deshalb stach und schnitt er tiefer, nur um der Freude willen, sie weinen und schreien zu hören, und um das flüchtige Machtgefühl wieder einzufangen, das ihn während all seiner früheren Morde in Taumel versetzt hatte. Doch das Gefühl blieb aus.
Irgendwie hatte der Mord an der Psychologin ihn wieder vergiftet und den Rückfall beschleunigt, den er im Café mit Nora erlebt hatte.
Er fühlte sich entstellt. Schwach. Machtlos.
Von Narben gezeichnet. Verunstaltet.
Wieder brüllte er auf, ergriff eine von Dr. Bowers’ Vasen und schleuderte sie zu Boden. Die Anstrengung und das Krachen befriedigten und beruhigten ihn; er brüllte erneut, schnappte sich noch eine Vase und zertrümmerte sie ebenfalls.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis andere Leute es sahen. Seine Narben als Schwäche auffassten. Und wieder anfingen, ihm ihre Verachtung zu zeigen.
Brad schaute wild um sich. Die hübsche blonde Psychologin war tot, aber Jase Tyler verlangte Beweise. Beweise dafür, dass sie am Leben war. Nur dann konnte er ihn zu sich locken. Ihn von der Rothaarigen trennen. Wie sollte er …
Moment mal . Als er Lana Hudson das erste Mal auf dem Bildschirm sah, hatte sie ihn doch an jemanden erinnert. An wen? Wer war …
Seine Nachbarin. Die blonde Frau mit dem dunkelhaarigen Ehemann.
Er fand, dass Lana und sie einander erstaunlich ähnlich sahen.
Vielleicht ging es den Bullen genauso.
29. KAPITEL
Mehrere Stunden später sprach Tyler tatsächlich mit einem kaltblütigen Mörder. Es war nicht das erste Mal in seinem Berufsleben, doch zum ersten Mal hatte er wirklich Angst. Um Lana. Um Carrie. Um sie alle.
Er dachte an den Tag, als er erfuhr, dass Carrie, nicht ihm, der Embalmer-Fall übertragen werden sollte. Natürlich war er enttäuscht, weil ein erfolgreich bearbeiteter Fall gut für seinen beruflichen Werdegang gewesen wäre. Als ob die Anzahl der aufgeklärten komplizierten Fälle seinen Wert als Polizist widerspiegeln würde. Seinen Wert als Mann. Vermutlich glaubte er, sich im Berufsleben ganz besonders beweisen zu müssen, weil er für seine freizügigen Freizeitvergnügungen so bekannt war. All das erschien ihm jetzt als großer Quatsch.
Er brauchte nichts zu beweisen. Genauso wenig wie Carrie. Ja, gute Polizisten liebten die Herausforderung. Noch bessere Polizisten besaßen die Ausdauer und den Ehrgeiz, langfristig zu planen. Doch Jase und Carrie hatten ihren Beruf als Maßstab für ihr Selbstwertgefühl benutzt, und das war nicht gut. Um das zu lernen, hatte Jase erst gemeinsam mit Carrie einen Fall bearbeiten müssen.
Als Jase das Gespräch mit Darwin beendete, sah er sich sogleich nach Simon um, der an einem zweiten Apparat mitgehört hatte.
Simon schüttelte den Kopf. „Wir konnten den Anruf nicht zurückverfolgen.“
„Das wundert mich nicht. Er ist klüger, als wir dachten. Lana lebt. Er hat mich mit ihr sprechen lassen. Nur kurz, aber …“
„Gott sei Dank“, seufzte Simon und sprach damit allen Anwesenden im Raum aus dem Herzen. Doch Carrie blieb skeptisch. Jase sah es ihr an.
„Was hat sie gesagt?“
„Weiter nichts als: ‚Hier spricht Lana Hudson. Mir geht es gut.‘“
„Woher willst du mit Sicherheit wissen, dass sie es war?“
„Sie hörte sich an wie Lana“, sagte Jase. Die Stimme hatte leise und zittrig gesprochen. Aber er hatte sie erkannt.
„Das reicht nicht.“ Carrie blieb hart. „Wir brauchen mehr Beweise. Wir müssen sie sehen.“
„Das habe ich mir auch gedacht“, pflichtete Jase ihr bei. „In einer halben Stunde postet er ein Video von Lana, zum Beweis, dass sie noch lebt. Um sicherzugehen, dass es nach unserem Gespräch aufgenommen wurde, soll Lana mir eine Kusshand zuwerfen und dann die benutzte Hand zur Faust ballen. Wenn sie genau das in dem Video tut, wissen wir,
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