Ex en Provence
gebremst hatte und doch tatsächlich auf Grün zu warten schien, stellte jegliches ohnehin völlig überflüssige und uncoole Blinken ein, startete auf der Landstraße selbstmordgeeignete Überholmanöver und meditierte mich nur Minuten später unter Philippes Anleitung in eine Zen-hafte Reglosigkeit, als eine Schafherde gemütlich die »route nationale« überquerte. »Da man kann machenn garrr nischts«, sagte Philippe und streichelte meinen Arm.
Dann erreichten wir das »Sabotage«, das zu einem alten Gutshof gehört. Bei Tageslicht ist es sicher wunderschön. In der Dunkelheit aber fiel mir vor allem das Kopfsteinpflaster des Parkplatzes auf, in dem meine Absätze immer wieder steckenzubleiben drohten. Zum Eingang des »Konzertsaals« führte schließlich ein Weg, der nach dem Herbstregen der vergangenen Tage so sumpfig ausfiel, dass statt Pumps eher Gummistiefel angesagt gewesen wären. Die hätte es selbst hier problemlos in Größe 42 gegeben, wenn auch wohl nur in anglergrün.
Philippe hatte bei meinen Balancierübungen durch den Matsch einen Arm um meine Schulter gelegt und sich erkundigt: »Soll isch disch traggen, Andscha?«
Wie bitte? Hältst du dich für einen der Klitschkos und mich für Sarah Jessica Parker? Oder willst du, dass dieser Geschäftstermin mit ein bis zwei Verletzten in der Notaufnahme endet?
»Nein, nein, es geht schon. Vielen Dank«, antwortete ich tapfer, legte meinen Arm um seine Hüften und krallte mich auf dem Weg in die Scheune an Philippes Jackett fest.
Aber das ist jetzt eigentlich längst alles vergessen, schließlich sitze ich mittlerweile im Arm des wohl attraktivsten Mannes von ganz Südfrankreich in dem wahrscheinlich trendigsten Konzert von ganz Europa.
»4’33« von John Cage steht auf dem Programm. Eine Bildungslücke, die in Kürze sicher sehr angenehm geschlossen wird.
In diesem Moment tritt der Dirigent auf die Bühne, die vor allem an ihrer aus Strohballen geschaffenen Begrenzung zu erkennen ist. Ihm folgt ein Pianist sowie ein vollständiges Orchester, dessen Mitglieder sich in zwei Reihen aufstellen und ihre Instrumente hingebungsvoll in ebenfalls mitgebrachte Kästen und Koffer einpacken.
Einpacken?
Der Pianist schließt unhörbar den Klavierdeckel. Der Dirigent hebt den Taktstock, und …
… nichts passiert. Jedenfalls akustisch. Stille. Bis auf das Rascheln, das der Dirigent mit seinem Frack und seinen Notenblättern beim engagierten Taktstock-Fuchteln erzeugt.
Ich linse diskret zu Philippe, der aber keine Miene verzieht.
Hallo?
Immer noch Stille. Das Orchester rührt sich nicht. Das Publikum auch nicht.
…
Seit ein paar Minuten geht das nun schon so. Doch jetzt lässt der Dirigent den Taktstock sinken, und alle um mich herum klatschen enthusiastisch.
»Wier dreiunddreißisch iist eine wischtige Stüück der Neuene Müüsike«, raunt mir Philippe ins Ohr und lässt seine Finger über meine Wange streifen. »Es stellt die üblische Definission von la musique in Fragge.«
Allerdings.
»Wie von der Kompositeur vorrgeschribben, soll das Orchesterr schweigenn wier Mii-nuten und dreiunddreißisch Sekunnden. Du verstähsst?«
Durchaus. Ist mir aber egal.
Seine Hand hat jetzt mein Ohrläppchen erreicht, und seine Lippen nähern sich meinem Mund.
»Das iist wiederre sehrre gefraggd. Hat es dirre gefallene?«
»Nun ja …« Weiter komme ich zum Glück nicht, denn Philippe küsst mich – gefühlte vier Minuten und 33 Sekunden lang.
Dann erstirbt der Beifall, und Philippe hört leider auf zu küssen, und die schwarz gewandete Gesellschaft schickt sich an, die Scheune zu verlassen. Offenbar sind die Musiker doch nicht bereit, als Zugabe noch einmal minutenlang dumm herumzustehen. Oder sie haben einfach Hunger.
Wie Philippe.
»Lass uuns noch einen Appen essennä ge-en«, sagt er, legt wieder seinen Arm um meine Schultern und führt mich aus der Scheune.
»Isch kennö ier in die Nä-e ein er-worragende Restaurant, das ist – wie sagged man – sehrre gefraggd ist. En vogue, du verstähsst?«
Und ob. Da gibt es wahrscheinlich nichts als leere Teller.
»Ja, gern, warum nicht?«, sage ich.
Aber mein Bauchgefühl sagt etwas ganz anderes, nämlich dass wir eigentlich dringend diese blöde Arbeit erledigen müssen, mir ein kleiner Café durchaus reichen würde, vor allem im Arm von Philippe, und dass man dann ja mal sehen kann, wie sich der Abend so entwickelt.
Und mein Bauch höchstpersönlich – also der echte, der mit den eineinhalb Speckrollen
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