Ex en Provence
bisschen besser. Wir hatten das Restaurant unter den überaus kritischen Augen der anderen Gäste verlassen. Ein Menü von Madame der Mega-Köchin abzubrechen muss schon einem wahren Sakrileg gleichkommen.
Ich verstand nicht, was Philippe dem Sommelier, dem Kellner und der Empfangsdame erklärte, aber er muss meinen Zustand deutlich übertrieben haben. Philippe stützte mich, als würde ich in den nächsten Minuten zusammenbrechen. Während er der Empfangsdame am Ausgang der Auberge zunickte, raunte er mir ins Ohr: »Dir wird es sischer gehen gleisch viel besserr.«
Doch davon konnte vorerst leider keine Rede sein: Im Vergleich zu dieser Rückfahrt auf dem Beifahrersitz neben dem reichlich alkoholisierten Philippe erschien mir meine Hinfahrt in dieses Kleinod der französischen Kochkunst inzwischen wie ein Ausflug in dem gut gepolsterten, absolut gesicherten Fahrzeug des Papstes – 50 Meter über den Petersplatz im Papamobil, im Schritttempo.
Auf dem Weg vom »Pot au Feu« nach L’Oublie-en-Provence kam mir nämlich die eine oder andere Leitplanke gefährlich nahe, rote Ampeln und Stoppschilder ignorierte Philippe konsequent. Der Zustand der Landstraße trug auch nicht gerade zum Reisekomfort und zur Sicherheit bei, da Philippe entweder mit Vollgas in die Schlaglöcher raste, um dann abrupt auf die Bremse zu steigen, oder den Dellen im Asphalt im großen Bogen auswich – über die Gegenfahrbahn, was im Vergleich zum Graben auf der anderen Seite noch das kleinere Übel zu sein schien.
Ich schwor mir, Jule nie wieder allein zu lassen, sollte ich diese Fahrt überleben.
Aber ich war auch gerührt von Philippe, der offenbar untröstlich über meinen Zustand war. »Mais, ce n’est pas possible, das ist völlig unmöglisch, dass du nischt verträggst das französische Küsche.« Er beugte sich zu mir, hauchte mir einen Kuss auf die Wange und fragte: »Was kann isch nur tun für disch, mon amour?«
Geradeaus fahren und auf die Straße achten.
Ganz Französin, flüsterte ich anmutig: »Du machst das wunderbar, Philippe.«
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Ich leistete auch keinerlei Widerstand, als Philippe eben wie selbstverständlich die Treppe zu meiner Wohnung hinaufkam. Warum auch? Mir geht es tatsächlich viel besser!
Inzwischen habe ich uns einen Kaffee gekocht und schäme mich fast ein bisschen für meine Gastronomie-Untauglichkeit. Irgendetwas stimmt da nicht, schließlich fanden in meinem Magen mitunter auch schon zwei Portionen Spaghetti Carbonara, ein Bananen-Weizen und eine Tafel Schokolade Platz. Aber der ländlichen Küche Frankreichs ist er offensichtlich nicht gewachsen. Jedenfalls nicht heute.
»Mais chérie, ce n’est pas grave, das macht doch nichts«, sagt Philippe und zieht mich auf mein Sofa. »Das Wischtigste ist doch, dass es dir jetzt geht widder besserr und dass wir siinde susammen.« Philippe streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, lässt seine Hand über meinen Nacken gleiten und küsst mich.
Wie schon in der Kulturscheune vergesse ich auch jetzt wieder alles – vom Lautlos-Konzert über das eigenwillige Essen bis zur Höllenfahrt durch die nächtliche Provence – und fühle mich in den Armen meines edlen Franzosen sehr französisch. Mit ihm lasse ich mich in die samtenen Kissen meines Canapés sinken und …
Das Telefon klingelt.
Nein! Ich werde nicht drangehen! Ich werde doch nicht schon wieder ein Date mit …
Auch Philippe ignoriert das Telefon konsequent und zieht mir meine Anzugjacke aus.
Jetzt piepst auch noch mein Handy.
Nein, nein, nein. Ich gehe nicht dran!
Jetzt streift Philippe langsam den Träger meines Tops über meine Schulter …
»Guten Tag, sie sind verbunden mit dem Anrufbeantworter von Anja Kirsch und Jule von Hassel. Bitte hinterlassen Sie ihre Nachricht nach dem Pfeifton.«
»Piiiiiiep.«
»Julie ist krank«, tönt mir Chloés Vater aus dem Anrufbeantworter entgegen. »Ihr ist schlecht. Sie müssen sie wohl abholen. Bis gleich.«
»Piiiiiep.«
Ich sehe Philippe an, der ein bisschen um Fassung zu ringen scheint. Er räuspert sich, rückt sein schwarzes Kultur-Event-Outfit zurecht und erklärt: »Isch begleite disch, keine Sorge! Wir müüssen doch sä-en, was deine Kleine at.«
Wie ritterlich! Ein perfekter Patchwork-Vater!
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Widerstandslos nehme ich auf dem Beifahrersitz meines Kombis Platz. Philipp startet den Motor. In L’Oublie-en-Provence gibt es kaum Kurven und genau zwei Ampeln, deshalb kann ich das Wagnis im Sinne der französisch-weiblichen Anschmiegsamkeit
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