Ex en Provence
angehauchten und kindkompatiblen Pizza-Nudel-Programm. Und überhaupt: Wieso sollte ich gut kochen können?
»Du bist doch, wie saggt man, ein Mensch des Genüsses, nischt wahr?«
Genussmensch? Heißt das übersetzt etwa dick?
»Aberre auch diie Fransösinnen – wie Madame die Köschin hier, wie meine Muuter, meine Grosmuuter, du verstehst – siind begnaddete Köschinnen.«
»Aber natürlich.«
Ich blicke voller Sorge zum Kellner, der uns in diesem Moment als Zwischengang die legendären Froschschenkel serviert.
Napoleon!
Hätte der Kellner mir gesagt, es handele sich um die Beine besonders leckerer Zwerghühner, hätten sie mir eventuell sogar gemundet. Der Gedanke an den zwar hübsch mit Seerosen bewachsenen, aber doch recht trüben Teich zuhause in L’Oublie-en-Provence verdirbt mir allerdings ein bisschen den Appetit. Genau genommen habe ich das Gefühl, dass mein Magen gerade eine ganz französische Revolution gegen die geballte Kochkunst dieses Landes anzettelt.
Aber warum muss auch alles, was in der Küche dieser »grande nation« Rang und Namen hat, entweder kriechen, wabbeln oder quaken?
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Eine halbe Stunde und einen riesigen Berg winziger Froschknochen auf meinem Teller später landet ein Mini-Huhn – es handelt sich wohl um eine Wachtel – auf meinem Teller. Langsam sehne ich mich doch ein bisschen nach Crêpe, Croque, Quiche und all den anderen einfacheren Ausführungen der französischen Küche. »Basse cuisine« sozusagen.
»Andscha – ihr Deutschen abbt so schönne Nammen«, schwärmt Philippe. »Isch weiß ja, dass es eißt eigentlisch Anja, aber Andscha mirr gefällt so gut. Andscha Kiirsch, Andscha la cérise … wunderbar.«
Anja, die Kirsche? Na ja.
Philippe sieht mir tief in die Augen und erklärt mir dann, worum es sich bei den »tripes« auf dem Teller am Nachbartisch zur Linken handelt. Das deutsche Wort fällt ihm nicht ein, aber es handelt sich nach seinen Beschreibungen wohl um Kutteln, also rein anatomisch um den Vormagen von Wiederkäuern – in diesem Fall einer Kuh.
Wollte ich das wirklich wissen?
Langsam wachsen meine Zweifel an der französischen Küche so, dass ich selbst einen harmlosen Croque eher misstrauisch beäugen würde und eine vegetarische Tiefkühl-Pizza durchaus zu schätzen wüsste. Oder auch einfach gar nichts. In diesem Sinne lasse ich die Wachtel wieder zurückgehen.
Ganz selbstständig, unfranzösisch sozusagen. Ein Skandal.
»Aaaah«, jubelt Philippe zufrieden. Natürlich nicht über meinen leisen Aufstand, den ich mit der Abfuhr an die edle Wachtel geprobt habe. »Isch wusste es doch, Madame die Köchin, iiist wirklisch sehrre begabt. Wie schadde abber, meine Liebbe, dass dir nischt mundet meine Menü«, seufzt Philippe jetzt.
»Doch, doch, das ist alles sehr lecker, aber meinem Magen geht es einfach nicht so gut.«
Sehr schlecht, um genau zu sein.
Am Nachbartisch zur Rechten erspähe ich nun die Käseplatte, auf der sich ein schon ziemlich gut gereifter Camembert selbstständig gemacht hat und auf dem schweren Holzbrett schier unaufhaltsam in Richtung des doch ziemlich schwarz schimmelnden Nachbarkäses zu fließen scheint.
Jetzt ist mir wirklich schlecht. Hochgradig übel sozusagen.
»Philippe, ich möchte jetzt lieber nach Hause«, sage ich zaghaft, denn Philippe isst mit großem Appetit seinen gefüllten Schweinefuß an Linsenragout, trinkt das letzte Glas Bordeaux wie schon die drei davor und deutet begeistert auf das Käseangebot, das auch er inzwischen entdeckt hat.
»Mais non, ma chérie.«
Ma chérie …
»Wir abben doch noch gar nischt gegessen die Käse …«
Zum Glück.
»Philippe, es tut mir leid. Aber ich fahre jetzt nach Hause. Entschuldige mich bitte. Vielleicht kannst du dir ja ein Taxi nehmen. Mir geht es wirklich nicht gut.«
»Abber nein, ma cérise …«
Meine Kirsche???
»Isch werde disch natürlisch begleitenne. Nein, isch werde fahrren disch nach Ause, das ist doch selbst-werständliisch.«
»Ich weiß nicht, ob das nach all dem Wein, den du getrunken hast, wirklich so eine gute Idee ist. Lass doch mich lieber fahren. Ich bin praktisch nüchtern.«
»Wie bitte, das isch abbe nischt verstanden.«
Ich erinnere mich an Nathalies Weisheiten zur Pflege eines männlichen Egos und säusele: »Ich sagte, danke, dass du fährst.«
Wird schon gutgehen. Hauptsache, ich komme hier weg.
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Als wir gefühlte drei Stunden Autofahrt später endlich in L’Oublie-en-Provence eintrafen, ging es mir tatsächlich ein
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