Ex en Provence
Genau genommen tropft gerade ein bisschen, äh, Kaffee aus meinem Croissant.
Ich habe es offenbar gedankenverloren in den Kaffee getunkt. Ich muss zugeben, dass es wirklich ausgesprochen lecker …
Jetzt klingelt das Telefon. Das Display meldet Bettina. Natürlich!
»Anja, Liebes, jetzt stell dich doch bitte nicht so an«, säuselt sie.
»Hm.«
So einfach geht das nicht. Ich bin ernsthaft beleidigt.
»Ich habe das doch nicht so gemeint«, setzt Bettina nach und fügt dann hinzu: »Ja, das kann zur Unterschrift.«
»Wie bitte?«, erkundige ich mich. »Welche Unterschrift?«
»Ach, sorry, ich meinte meinen Assistenten. Jetzt bin ich aber wieder ganz bei dir.«
Natürlich. Ganz und gar.
»Hm.«
»Anja, ich möchte wirklich gern wissen, wie es mit deinem Hugh Grant weitergegangen ist. Schließlich sind wir doch Schwestern! Zwillinge sogar …«
Allerdings. Leider.
»… mir kannst du das doch anvertrauen … Nein, die Konferenz ist schon um 17 Uhr, ja, der gesamte Vorstand. Jetzt aber schnell! Anja? Bist du noch da? Tut mir leid, das war meine Sekretärin. Also, was ist mit Hugh? Du sagst ja gar nichts. Sag doch wenigstens endlich, ob du mit ihm an diesem Wochenende … Oje, du bist ihn sicher schon wieder los, oder? Na, Kopf hoch, Klei… äh, Anja, da wird sich schon ein anderer …«
»Hör auf!«, schreie ich ins Telefon. »Ich habe es wirklich satt, von dir so behandelt zu werden. Und im Übrigen läuft es ganz hervorragend mit ›meinem Hugh‹. Aber hör auf, ihn so zu nennen.«
»Hoppla. Ist ja gut. Ich weiß doch aber gar nicht, wie er heißt.«
»Philippe.«
»Wow, wie romantisch, ganz französisch! Und er sieht wirklich auch aus wie Hugh Grant? Wie mein Oliver?«
»Keine Ahnung, wie dein Oliver aussieht. Das spielt ja auch gar keine so große Rolle. Wichtiger ist ja wohl, dass er überaus interessant, einfühlsam, gebildet …«
»Natürlich, natürlich … Aber, sag mal, wie kommt es denn eigentlich, dass er noch nicht in festen Händen ist?«
Wutentbrannt drücke ich den roten Knopf meines Telefons und nehme mir vor, das nächste halbe Jahr nicht mehr mit meiner Schwester zu sprechen. Auf jeden Fall nicht über Philippe. Denn ihre Frage heißt ja übersetzt so viel wie: »Wie kommt es eigentlich, dass sich so ein Adonis der Extraklasse, da auch mit inneren Werten ausgestattet, für jemanden wie dich interessiert?«
Unverschämtheit!
Hm, obwohl, wie kommt es eigentlich, dass …
Anja! Schluss jetzt!
Endlich die Mails schreiben an …
Och, nö, jetzt kommt auch noch eine SMS von Bettina. Nerven auf allen Kanälen.
Sorry, sei wieder lieb. Dein Schwesterherz. (12. Oktober, 16:19)
Pfffh!
16. Kapitel
Samstag, 16. Oktober, am Nachmittag
»Du siehst toll aus«, sagt Nathalie und zupft meine Haare in Form. Gerade hat sie mir gekonnt einen Lidstrich verpasst, der mich in nichts Geringeres als eine echte »femme fatale« verwandelt.
Nathalie stand überraschend bei mir vor der Tür, als ich mich in der letzten Vorbereitungsphase für mein Date mit Philippe befand. Sie hatte in der Bäckerei Baguette für das abendliche Familien-Fünf-Gänge-Menü gekauft und wollte sich vor dem einsamen Kochen noch ein bisschen unterhalten. Ihr Jonathan scheint immerhin auch mal den Küchendienst zu übernehmen, regelmäßig den Müll wegzubringen und kann durchaus die Spülmaschine in Gang setzen. Damit hat sie es schon recht gut getroffen, denn nach ihren Beschreibungen dürften die meisten Herren der französischen Schöpfung wohl eher Totalausfälle in Sachen Gleichberechtigung bei der Hausarbeit sein.
Aber das ist ja ein viel zu deutscher Ansatz, »wir« Französinnen sind da ja ganz anders. Wir managen Küche und Kinder mit einem hinreißenden Lächeln auf den perfekt geschminkten Lippen.
Also, ich noch nicht wirklich, aber Nathalie scheint das bestens hinzubekommen. Und noch nie hat sie sich darüber beklagt, dass sie zusätzlich zu ihrer eigenen Arbeit auch noch die gesamte Organisation der Familie an der stets verführerisch rouge-geröteten Backe hat.
»Das wird ein grandioser Abend mit deinem Liebhaber«, sagt Nathalie. »Fast beneide ich dich ein bisschen.«
Äh.
»Also, ich meine, dass du einen aufregenden Abend vor dir hast. Wir speisen heute mal wieder ›en famille‹. Du weißt schon, Madame Dupont kommt zu Besuch.«
Die Schwiegermama! Ja, da sind meine Aussichten besser.
»Aber so ist es nun einmal«, seufzt Nathalie. »Schade, dass Julie nicht bei uns logiert. Das hätte sicher
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