Ex en Provence
geschlafen, und …«
»Keine Sorge«, murmelt er und greift sich den Zettel, den ich schon zu Hause vorbereitet hatte. »Wir kommen schon klar. Noémi wird sich um die beiden kümmern.«
Ah, Chloés Zofe.
»Erwarten Sie denn viele Gäste?«, erkundige ich mich.
»Nein, nur so zwei, drei Dutzend Kollegen von mir.«
Nur? Eine mittelgroße Party also. Das dürften also eher ganze Stapel Quattro Stagioni sein, die mir langsam doch ein bisschen Appetit machen. Dazu ein kleines Bierchen? Natürlich hätte ich schon gern gewusst, womit Monsieur Schweigsam denn so sein Geld verdient und wer also diese Kollegen sind. Und wo sich denn eigentlich die geheimnisumwitterte Madame Leroy herumtreibt.
»Hm«, murmele ich.
»Machen Sie sich keine Sorgen …«
Wie fürsorglich!
»… Das sind alles nette Leute. Julie fühlt sich hier wohl.« Eric deutet hinter sich, wo Jule und Chloé kichernd Luftschlangen im Flur verteilen. Jule winkt mir zu, in ihren Augen ist ein Strahlen aus der Weihnachten-Geburtstags-Kategorie zu erkennen.
Sogar Eric Leroy lächelt. »Julie geht es gut hier, nicht wahr, Julie?«
»Ouiiiii«, antwortet Jule. »Los, Mama, bleib doch auch hier. Eric hat sicher noch eine Pizza für dich, oder?«
»Klar.«
»Mamaaaa, bitte!«
Hm.
»Nein, Schatz, du weißt doch, dass ich …«
»Und notfalls hätte ich auch noch ein Bier übrig.«
Hmmmm.
»Mamaaaaa!«
»Nein, vielen Dank, aber …«
… gut, dass Sie nicht noch einmal die Pizza erwähnt haben und der »Sultans-of-Swing«-Song gerade zu Ende ist, sonst hätte ich es mir vielleicht doch anders …
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Zwei Stunden später
Im »Sabotage«
Ich fühle mich immer noch overdressed.
Ich sitze in einer Scheune.
Philippe hatte nämlich leider vergessen, das winzige Detail zu erwähnen, dass das »Sabotage« nicht nur ein sehr angesagtes, sondern auch sehr alternatives und noch viel abgelegeneres Kulturzentrum auf dem Land ist – im Klartext: etwa 60 Minuten Fahrzeit von jeglicher Zivilisation entfernt. Nathalie hatte ebenfalls nichts davon erwähnt, vielleicht kennt sie das »Sabotage« doch nur vom Hörensagen.
Okay, ich hätte vielleicht auch mal im Internet recherchieren können, wo genau unsere neueste »Konferenz« stattfinden würde. Aber ich hegte einfach keinen Verdacht. Philippe hatte von einer sehr exklusiven Veranstaltung geschwärmt, für die er nur Karten über einen »copain«, also einen Freund, aus der Szene bekommen habe.
Als politisch engagierter Kulturfreak organisiert Philippe sicher selbst regelmäßig Benefizkonzerte – für Waisenkinder in Moldawien oder Erdbebenopfer in Haiti. Dazu lädt mein moderner Robin Hood wahrscheinlich die gesamte Bourgeoisie der Stadt ein, die bei etwas gepflegter Kammermusik ordentlich Geld springen lässt. Nicht zuletzt deshalb wähnte ich mich schon in einem der Adelspaläste am Prachtboulevard in der Innenstadt, mit Stuckdecken und sehr erlauchtem Publikum auf pompösem Mobiliar.
Stattdessen hocke ich jetzt aber auf einer Holzbank der Kategorie Oktoberfest, ausrangiert. Ist die un-be-quem! Außerdem muss ich feststellen, dass mein rotes Top der einzige Farbklecks in diesem doch sehr minimalistisch gekleideten Publikum ist. Alle um mich herum tragen schwarz! Auch Philippe, bei dem der schwarze Rollkragenpulli aber weniger intellektuell als vielmehr ziemlich sexy wirkt.
Unwillkürlich schlinge ich meine Anzugjacke enger um mich, um das in diesem Rahmen doch etwas zu bieder lebensbejahend anmutende Rot zu verbergen.
»Iist dier kalt, Andscha?«, erkundigt sich Philippe und zieht mich eng an sich, ohne auf eine Antwort zu warten.
Mmh … eigentlich doch eine sehr angenehme Konferenz, Holzbank hin oder her. Auch den Auftakt für diesen Abend habe ich Philippe längst verziehen. Bei unserem Treffen in der Innenstadt war Philippe nämlich erstens mal wieder zu spät und ist dann zweitens wie selbstverständlich in meinen Kombi geklettert. Sein Auto sei gerade in der Werkstatt, bei einem »copain«, und deshalb müssten wir uns wohl irgendwie arrangieren. Übersetzt: »Anja, du fährst!«
Aber das war ja auch überhaupt kein Problem, schließlich lerne ich gern dazu, was die französische Fahrweise betrifft – vor allem mit Philippes Hand irgendwo recht angenehm platziert zwischen meinem rechten Oberarm und meinem Nacken.
Unter Philippes Beifall drückte ich auf der Hinfahrt also vor jeder rot werdenden Ampel aufs Gaspedal, hupte, wenn vor mir so ein völlig unfranzösischer Spielverderber
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