Ex en Provence
Ordnung wäre, wenn wir das Formelle unserer Scheidung ein bisschen verschieben würden«, druckst Ralph herum. »Das ist wirklich nicht leicht, wenn einer der Eheleute im Ausland ist. Du müsstest zum deutschen Konsulat fahren und so weiter und so fort. Das wäre doch alles eine recht große Belastung, auch für Jule.«
Hier stimmt was nicht.
»Natürlich. Was ist los, Ralph?«
»Nichts, nichts. Es ist einfach so, wie ich sage.«
»Ja, meinetwegen. Dann regeln wir das eben, wenn ich wieder da bin.«
»Gut. Vielleicht finden wir ja auch eine Lösung, wenn ich euch besuchen komme. Ich dachte so an nächstes Wochenende.«
»Ganz schlecht, Ralph. Das geht wirklich gar nicht. Da sind wir beide auf Reisen.«
Auf dem Bauernhof. Leider. Alternativ könnte ich nämlich auch durch Paris bummeln mit … Philippe.
Durch den Louvre streifen mit … Philippe.
Allein schon Metrofahren wäre sicher atemberaubend mit … Philippe.
»Wie ihr beide?«, fragt Ralph.
Ganz zu schweigen von einer lauschigen Pension, mit …
»Du mit …?«
»Philippe, äh, ich meine Jule natürlich«
»Philippe? Wer ist denn das?«
Mein eigentlich gerade wegen Undurchsichtigkeit zum Ex erklärter Verehrer. Oder doch nicht so ganz Ex?
»Ralph, ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht«, antworte ich meinem einzig wahren Ex.
Huuuuh, tut das gut.
»Aber was Jule macht, geht mich schon etwas an.«
»Wir sind auf Klassenreise. Jule fährt mit ihrer Schule auf einen Bauernhof, und ich komme als Begleitung mit.«
»Oh. Und dieser Philippe auch?«
Leider …
»… nein.«
»Wer ist das denn überhaupt? Hast du etwa einen Freund?«
Nein, wie sollte ich? Ich bin doch noch verheiratet! Ich warte lieber auf einen knackigen Babysitter im zarten Alter von 20 Jahren und fange noch einmal ganz von vorne an.
»Ralph, ich habe jetzt keine Zeit mehr. Danke für deinen Anruf, das mit der Scheidung geht schon klar. Mach’s gut.«
»Hey, Anja, warte mal. Ich möchte gern noch Jule sprechen.«
»Moment, ich verbinde«, sage ich, während ich Jule das Telefon ins Kinderzimmer bringe.
Dann gehe ich zurück ins Wohnzimmer, lege meine einzige CD von Gloria Gaynor auf, klicke vor auf »I will survive«, drehe den Lautsprecher voll auf und singe mit:
At first I was afraid, I was petrified,
Kept thinking I could never live wihout you by my side …
Ein paar Sekunden später lugt Jule um die Ecke, den Telefonhörer am Ohr. »Mama?«, fragt sie etwas erstaunt. Ich antworte nicht und trällere noch ein bisschen lauter:
But then I spent so many nights
thinking how you did me wrong …
»Hey, Mama!«, Jule kommt jetzt auf mich zu. Ich nehme sie an die Hand, wirbele sie herum und gröle wie mit 16 auf Konzerten von BAP oder Grönemeyer. Gloria Gaynor habe ich leider verpasst, bevor sie zur eher exklusiven Ikone der Schwulenbewegung wurde. Und sie singt soooo schön …
And I grew strooooooong!
»Papa will dich noch mal sprechen …« Jule hält mir das Telefon hin, das in akuter Lebensgefahr schwebt. Ich schüttele nur den Kopf und lasse Jule eine Pirouette drehen.
»Waate mal, Mama, Papa kommt uns be…«
And I learned how to get along!
Jetzt habe ich Jule von der Spontan-Disco begeistert. Sie drückt mir entschlossen das Telefon in die Hand und tobt nun selbst tanzend durch die Wohnung.
Gut, dass die Bäckerei geschlossen ist.
Schade, dass Ralph nicht taub ist.
»Anjaaaa!«, brüllt er aus dem Hörer. »Ist bei euch alles in Ordnung?«
Etwas außer Atem schnappe ich mir die Fernbedienung, klicke die Musik unter Jules Protest etwas leiser und sage zu Ralph: »Ja, alles bestens.«
»Ich komme euch besuchen, also ich meine natürlich, ich komme Jule besuchen. Wenn es nächstes Wochenende nicht geht, dann eben später. Schreib mir einfach eine Mail, wann es dir passt.«
Ich antworte nicht, sondern stelle das Telefon ganz dicht an die Box, aus der Gloria Gaynor gerade verkündet:
And so you feel like droppin’ in and just expect me to be free, now I’m saving all my loving for someone who is loving me!
20. Kapitel
Bettina, es hat gutgetan, mit dir zu sprechen. Habe übrigens Ralph abgewimmelt. Er wollte wirklich kommen! Philippe habe ich jetzt auch abgehakt. (8. November, 18:34)
Sehr gut. Ich sage auch immer: Ein Ex mehr oder weniger … Aber gib das Franzosen-Projekt vielleicht doch nicht gleich ganz auf! Lieben Gruß an Jule. (8. November, 18:36)
Jule kommt jetzt gleich wieder mit zum Unterricht. Muss ich ein schlechtes
Weitere Kostenlose Bücher